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Mithilfe modernster DNA-Analysen

England: Rätsel um Herkunft 2.000 Jahre alter Leiche gelöst – durch ‚Jahresringe‘ in Zähnen

Bei Ausgrabungen im Rahmen von Bauarbeiten haben Archäologen in Cambridgeshire ein rund 2.000 Jahre altes Skelett entdeckt. Der Verstorbene, ein Mann, lag allein und ohne persönliche Gegenstände in einer Mulde. Anhaltspunkte für seine Identität gab es so gut wie keine.


Bilder 1 bis 3: MOLA Headland Infrastructure

Er bekam den etwas technischen Namen Offord Cluny 203645 verpasst, abgeleitet aus der Ortschaft, in der er gefunden wurde, ergänzt um eine Registriernummer. Zudem hielt man ihn anfänglich für ein ganz normales Individuum aus der Region. Ein Landarbeiter möglicherweise.

Eine DNA-Analyse ergab jedoch, dass der Verstorbene keinerlei Herkunftsmerkmale aufwies, die zu der Region passten. Stattdessen war klar: Er musste irgendwann in seinem Leben einen weiten Weg zurückgelegt haben, um hier – in der britischen Provinz – zu landen.

Dr. Marina Silva vom Ancient Genomics Laboratory am Francis Crick Institute in London extrahierte und entschlüsselte „Offords“ uralte DNA aus einem winzigen Knochen, der aus seinem Innenohr entnommen wurde. Es war der besterhaltene Teil des gesamten Skeletts.

„Es ist wahrlich nicht so, als würde man jemanden testen, der noch lebt. Die DNA ist über die Dauer sehr fragmentiert und beschädigt. Dennoch konnten wir genug davon entschlüsseln, um zu sagen, dass er sich genetisch stark von anderen römisch-britischen Individuen unterschied“, sagte Dr. Silva nun.

Anhand der Analyse konnte der Ursprung des Verstorbenen im äußersten Randgebiet des Römischen Reiches verortet werden. In einem Gebiet, das heute Südrussland, Armenien und die Ukraine umfasst – und einst über Jahrhunderte die Heimat der Sarmaten war.

Das Spannende: Mithilfe neuester DNA-Analysemethoden können nicht nur geografische Rückschlüsse gezogen, sondern ganze Lebenswege nacherzählt werden. Und zwar nicht nur die der Reichen und Mächtigen, zu denen sich häufig irgendwelche Quellen und Dokumente finden.

Wie konnte ein sarmatischer Spross in der Provinz Britanniens landen?

Stattdessen ist es mit den hochentwickelten Verfahren der letzten Jahre möglich, allein aus der Körper-DNA heraus die Informationen zu erhalten, die es für valide Aussagen braucht. Ziemlich faszinierend – und in diesem Fall wahnsinnig erhellend.

Wie also konnte ein sarmatischer Spross nach Britannien gekommen sein? Oder hatte er, aus welchen Gründen auch immer, doch sein ganzes Leben hier verbracht? Um diese Fragen kreiste die Forschung im Labor, die letztlich etwas von Detektivarbeit hatte.

Sarmatien Karte
Schwarzes Meer, Ukraine, Südrussland: Ein Gutteil Sarmatiens in einer Darstellung aus dem 19. Jahrhundert. (Karl Spruner von Merz / gemeinfrei)

Zunächst ließ sich ermitteln, dass der junge Mann irgendwann zwischen 126 und 228 nach Christus verstorben ist. Auch seine Zugehörigkeit zum Volk der Sarmaten, einem iranisch-sprachigen Reitervolk, konnte relativ schnell ermittelt werden.

Komplexer wurde es dann beim Aspekt Lebensweg, wofür ein Archäologen-Team der Universität Durham „Offords“ versteinerte Zähne sprichwörtlich unter die Lupe nahm. Gesucht und gefunden wurden so hoch interessante Spuren zur Ernährung des Toten.

Heraus kam: Das Ernährungsmuster des Sarmaten hatte sich rund um das 5. Lebensjahr allmählich verändert. Denn ähnlich wie bei Baumringen hinterlassen sich wandelnde Lebensbedingungen einen klar ablesbaren Zahnabdruck. Wie ein biochemischer Schnappschuss etwa.

Im vorliegenden Fall deutete die Analyse bis zur Hälfte der ersten Lebensdekade primär auf C4-Kost hin (Hirse / Sorghum – trockenheitsresistente Nahrung), die mit der Heimatregion der Sarmaten assoziiert werden kann. „Offord“ muss also als Kind hier gelebt haben.

„Die angestammten Zutaten verschwanden von seinem Speiseplan“

Doch im Laufe der Zeit nahm der Verzehr C4-typischer Nahrungsbestandteile ab und wurde durch steigenden Konsum von Weizenprodukten abgelöst. Eine auch damals schon in West- und Nordwesteuropa übliche Ernährungsweise.

„Die Analyse sagt uns, dass er und nicht seine Vorfahren die Reise nach Großbritannien gemacht haben. Als er heranwuchs, wanderte er nach Westen, und die angestammten Zutaten verschwanden von seinem Speiseplan“, schildert Bio-Archäologin Prof. Janet Montgomery von der Uni Durham.

Ergänzend verraten historische Aufzeichnungen, dass „Offord“ der Sohn oder Sklave eines Kavalleristen gewesen sein könnte. Zu der betreffenden Zeit wurde nämlich eine Einheit sarmatischer Reiter in Diensten der römischen Armee nach Britannien entsandt. So schließt sich höchstwahrscheinlich der Kreis.

„Die Verfügbarkeit dieser DNA- und chemischen Analysetechniken bedeutet, dass wir jetzt ganz andere Fragen stellen und untersuchen können“, teilte der Archäologe Dr. Alex Smith von MOLA Headland Infrastructure diese Woche gegenüber der BBC mit.

Dabei geht es im Kern darum, wie sich antike Gesellschaften bildeten und wie sie beschaffen waren. Smith dazu: „Es deutet vieles darauf hin, dass das Ausmaß von Migration ungeahnt groß war – nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum.“

Und eben weit überregional, so wie bei „Offord“ aus Sarmatien. Es scheint, als hielte die Archäologie da einen völlig neuen Schlüssel in Händen. Gerade die Möglichkeit, auch ohne historische Quellenlage valide Aussagen zum Lebensweg der „Normalbevölkerung“ treffen zu können, klingt höchst spannend.

Hintergrund: Die Sarmaten waren eine Stammeskonföderation iranischer Reitervölker, die in Schriftquellen erstmals im Jahr 513 vor Christus Erwähnung fand. Sie siedelten zwischen dem 6. Jahrhundert v. Chr. und dem 4. Jahrhundert n. Chr. in Gebieten südlich und südwestlich des Ural.

In den Steppengebieten im heutigen Südrussland und der Ukraine verdrängten die Sarmaten ab etwa dem 3. Jahrhundert v. Chr. die Skythen. Die stark mit dem Iranischen verwandte Sprache der Sarmaten findet sich heute noch in Teilen des Kaukasus-Gebirges.

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