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3. Teil des Besuchs in Finnland, dem Partnerland der Grünen Woche

Urlaub im Sägewerk – oder das finnische Weingut

Mein dritter Tag in Finnland beginnt wieder früh. Der Bus fährt um 8:15 Uhr Ortszeit ab, was 7:15 Uhr deutscher Zeit entspricht. Der Schlafmangel der vorigen Nächte fesselt mich ans Bett, statt zu frühstücken, döse ich lieber.

Weingut Finnland Reisebericht
Morgens Kaffee, Nachmittags Wein, so sieht mein Tagesplan heute aus.
(Foto Messe Berlin GmbH)

Als ich aus dem Hotel komme, steht der Bus schon am Bahnhof von Porvoo. Mein Geist sagt, Beeilung, mein Körper sagt, Kaffee.

Ich frage den Busfahrer, ob die Zeit noch reicht, um Kaffee zu holen. Er empfiehlt mir einen Imbisswagen in der Nähe. Dort gäbe es den besten Kaffee Porvoos. Der Versuch, den Kaffee auf Finnisch zu bestellen, scheitert am zweiten Satz, den ich hätte produzieren müssen, als die Verkäuferin fragt, ob ich meinen Kaffee mit oder ohne Milch möchte.

Wir wechseln ins Englische, sie schmeichelt mir ob meiner Finnischkenntnisse und bringt mir bei, einen Milchkaffee zu bestellen. Für eine halbe Stunde ist mein finnischer Wortschatz um eine Phrase reicher. Dann habe ich das Wort für Milchkaffee schon wieder vergessen.

Porvoo ist die zweitälteste Stadt Finnlands und Heimat vieler finnischer Künstler. Unweit von Helsinki gelegen, es ist eine Sünde, Porvoo beim Finnlandbesuch links liegen zu lassen. Immerhin kann ich davon berichten, dass die Verkäuferin im Imbisswagen charmant wie ein italienischer Eisverkäufer ist und guten Kaffee verkauft. Das nächste Mal besuche ich diese Stadt auch bei Tageslicht, versprochen.

Auf in die Wildnis

Die Fahrt geht auf die finnische Seenplatte, nördlich von Helsinki im Südosten Finnlands. Entstanden ist die größte Seenplatte Europas nach der letzten Eiszeit. Als die Gletscher, die sich in die Landschaft gefräst hatten, schmolzen, hinterließen sie Moränen und Gletscherbecken, die sich mit Schmelzwasser füllten. So entstanden über 42.000 Seen in der Region.

Betrachtet man diesen Teil Finnlands auf einer Karte, sieht es aus, als ob sich Finnland hier im Wasser auflöst. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Eismassen, die zuvor bis zu 3 km dick waren und die Erdkruste eindrückten, lösten durch ihr Schwinden eine sogenannte postglaziale Landerhebung aus, die bis heute anhält. Das führt dazu, dass hier innerhalb eines Menschenlebens durch Landerhebung einzelne Verbindungen zwischen den vielen Seen verlanden werden und so neue abgetrennte Seen entstehen.

Auf dem Holzweg

Wir halten am Miekankosken Kahvila, einem Café und Museum an der Miekankoski Stromschnelle, die zur Gemeinde Mäntyharju 10 km entfernt gehört. Die Gebäude von Museum und Café sind, typisch nordisch, falunrote Holzhäuser, die in den 1940er Jahren für die Flößer erbaut wurden, deren Leben das Museum dokumentiert.

1910 wurde an dieser Stelle ein Durchbruch zwischen dem Saimaa-See und dem Wasserweg nach Mäntyharju geschaffen, in Miekankoski entstand ein Umschlagplatz, auf dem bis 1975 Holz geflößt wurde. Damals war es die günstigste Art das Holz zum Sägewerk zu transportieren. Bis das intensive und lebensgefährliche Flößen durch den Ausbau der Straßennetze und LKW unrentabel geworden ist.

Die Exponate im Museum zeichnen das Leben und Arbeiten der Flößer und den Holzhandel in dieser forstwirtschaftlich geprägten Region nach. Geflößt wurde nur in der eisfreien Zeit des Jahres, die damals mit dem ersten Frost gegen Ende August endete.

Es ist Anfang September, wie überall in Europa war es in Finnland dieses Jahr zu warm und zu trocken. Vom ersten Frost fehlt bislang jede Spur. Der käme von Jahr zu Jahr später, erzählt mir eine ortsansässige Führerin.

Im Café gibt es Hausmannskost und Angellizenzen zu erwerben. Denn auch bei Fischern ist die ehemalige Grenze zwischen Schweden und Russland beliebt. Statt einer Angellizenz nehme ich mir Salat und Karelische Piroggen zu Mittag. Die Hausmannskost schmeckt prima, fast wie beim Minister gestern.

Antti Väisäsen Nilkko Brauerei
Antti Väisäsen, einer der drei Gründer der Nilkko Brauerei. (Foto Messe Berlin GmbH)

Ich fahre weiter nach Mäntyharju in eine ehemalige Schuhfabrik, die eine der vielen Mikrobrauereien beherbergt, die in den vergangenen Jahren in Finnland entstanden sind. Nilkko heißt die von drei Freunden gegründete Brauerei und neben der Brauanlage gibt es einen kleinen Shop und eine Bar, wo man das Bier kaufen und trinken kann. Alles wirkt jung und hip, die Zutaten kommen aus der Region und nur dort kann man derzeit die hübsch etikettierten Biere kaufen.
Nilkko Bier
Die Zutaten für das hübsch etikettierte Bier kommen aus der Region.
(Foto Messe Berlin GmbH)

Ich probiere mich durch zwei Sorten und bin dank des Alkohols leicht euphorisiert, als ich wieder in den Bus steige. Dieser bringt mich zum ersten Weingut Finnlands, nach Ollinmäki.

Die Weinkönigin von Ollinmäki

Sirpa Villanen Weingut
Sirpa Villanen, die ungekrönte Winkönigin von Finnland. (Foto Messe Berlin GmbH)

In Ollinmäki angekommen, werden wir von Sirpa Villanen vor ihrem Hof empfangen. Sie trägt ein Kleid, das mich an bayerische Landhausmode erinnert, die Haare sind kunstvoll hochgesteckt mit pinken Lilien darin. Freundlich begrüßt sie jeden und führt uns in das Hauptgebäude, vorbei am eigenen Weinladen in einen großen Festraum mit Bar.

Ollinmäki ist seit 1995 Finnlands erstes Weingut. Damals haben sich die Alkoholgesetze in Finnland gelockert und Vallinen hat mit ihrer Familie den Schwerpunkt von der Beerensaftproduktion auf das Brennen von Schnäpsen und die Weinerzeugung umgestellt.

In Finnland gibt es keine Weinreben, lediglich ein Versuchsfeld auf der Insel Olkiluoto im Südwesten wurde 2001 angelegt. Das warme Kühlwasser der auf der Insel betriebenen Kernkraftwerke wurde hierfür wie eine Rasenheizung unter einem Feld durchgeleitet, um die Energie für den Anbau von Pflanzen zu nutzen. Das Projekt war Teil eines staatlichen Forschungsprogramms, jedoch was den Weinanbau betraf, weniger ertragreich als erhofft.

Traditionell gibt es in Finnland jedoch weinartige Getränke aus Beeren. Auf diese Tradition setzte man Mitte der 90er auch in Ollinmäki.

Die Beerenwein-Verkostung auf Ollinmäki mit der Hausherrin ist ein kleines Spektakel. Statt lediglich die Weine zu probieren und dabei ins Plaudern mit seinem Sitznachbarn zu verfallen, führt uns Villanen jedes Glas persönlich vor. Sie erklärt, wie man das Weinglas hält, dabei gibt sie Anekdoten über ihre Landsleute und deren Nachhilfebedarf beim Weintrinken zum Besten.

Anschließend müssen wir das Glas einmal im 45° Winkel neigen und wieder gerade in die Hand nehmen. So kann man das sogenannte Kirchenfenster sehen, einen Film, der am Glas zurückbleibt und Aufschluss über die Eigenschaften des Weines gibt. Während Villanen uns weiter von ihren Erfahrungen als Botschafterin des Weines auf Ollinmäki berichtet, probiere ich den ersten Schluck.

Wein aus Beeren ist für mich eine neue Erfahrung. Er schmeckt süß, jedoch nicht so süß, wie ich es von lieblichen Weinen kenne. Und er lässt sich leichter trinken, als die 13% Alkohol vermuten lassen. Es wäre ein Leichtes, bei einem angeregten Gespräch die erste Flasche schnell zu leeren und vom Alkoholgehalt hinterhältig überrascht zu werden. Was auf Ollinmäki wohl häufiger passiert, wie Villanen berichtet. Man kann in diesen Fällen eine Nacht oder gleich seine Ferien auf dem Gut verbringen.

Als wir uns am Beerensekt vorbei zu den Likören vorkosten, hat es mir vor allem der Kräuterlikör mit Fichtenaroma angetan, Kuusenkerkkälikööri. Eine Stunde später trete ich aus dem dunklen Weinkeller und gehe strahlend der Sonne und dem auf mich wartenden Bus entgegen.

Der Lachs vom Saimaa See

Fischzucht Saimaa See Finnland
In Puumala, einer Schärengemeinde im Seengebiet Saimaa, Timo Hagman und seine Familie nachhaltig Lachs. (Foto Messe Berlin GmbH)

Bevor ich die Unterkunft für die Nacht beziehe, besuche ich mein Abendessen. In Puumala betreibt Timo Hagman mit seiner Familie eine Fischzucht. Die Regenbogenforellen, die die Familie züchtet, werden in einem abgetrennten Teil des Saimaa Sees auf drei Hektar großgezogen und vor Ort verkauft. Außerhalb der Region bekommt man Hagmans Fisch lediglich auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt, wo der Lachs jedes Jahr als typisch finnischer Flammlachs verkauft wird.

Das abgetrennte Areal, in dem Hagman seine Fische hält, wird durch den Saimaa See ständig mit Frischwasser versorgt, pro Sekunde fließen 30.000 Liter Wasser durch das Gehege. Die Regenbogenforelle entstammt der Familie der Lachsfische und wird auf Speisekarten oft Lachsforelle genannt.

Ähnlich wie die Tierhaltung an Land, hat auch die Fischzucht in den vergangenen Jahren für Negativschlagzeilen gesorgt. Allen voran die Lachsfarmen in Norwegens Fjorden. Die Artikel dazu lassen einem den Appetit auf Fisch vergehen, Geschichten von Lachsläusen, Pestiziden und Umweltschäden empören Menschen auch jenseits der Fjorde. Mich zum Beispiel.

Als wir mit Timo Hagman vor seiner Fischzucht stehen, ist das Bild jedoch ein ganz anderes.

In dem großen Gehege kann man immer wieder hier und da einen Fisch sehen. Auf Lachsläuse angesprochen, wirkt Hagman überrascht. Mit Lachsläusen hat er noch keine Erfahrungen gemacht. Ich möchte wissen, wie häufig er Medikamente einsetzt, um typische Zuchtkrankheiten zu behandeln. Die Antwort: noch nie.

Die Lachsforellen werden vor der Geschlechtsreife gefischt. Außer auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt, gibt es nur noch den Verkauf im Betrieb selbst. Interesse an Wachstum und Expansion liegen dem ruhigen Fischzüchter angenehm fern.

Urlaub in der Wildnis

Es geht nach Sahanlahti, das ebenfalls zur Gemeinde Puumala gehört, zur Familie Kuivalainen, die ein Ferienresort betreibt.

Hier sind im 18. Jahrhundert einige Sägewerke entstanden, die mit Hilfe von Wasserkraft betrieben wurden und zwei Jahrhunderte lang Landschaft und Kultur prägten. Bis 1936 das letzte Sägewerk zurückgebaut wurde.

Heute befindet sich im Haus des ehemaligen Sägewerksbesitzers die Rezeption und ein Restaurant des Sahanlahti Resorts, andere historische Gebäude wurden von der Familie ebenfalls in den Ferienpark integriert.

Mein Bett steht in einem der roten Holzhäuser, die zum Hotelbetrieb der Familie gehören. Zur Begrüßung bekomme ich meinen Schlüssel mit dem Zimmernamen, Ida, und einem Plan, wo ich mein Übernachtungszimmer auf dem Grundstück finde.

Unweit der Rezeption betrete ich ein rotes Holzhaus, schließe mein Zimmer auf und lasse mich aufs Bett fallen. Es ist ruhig draußen und ich atme kurz durch, bevor ich wieder zum Rest der immer größer gewordenen Reisegruppe stoße.

Saimaa See
Am Saimaa See, wohltuender Blick für Kopf und Körper. (Foto Schlimme Helena)

Als ich zum Hauptgebäude zurückkehre, warten schon einige Aussteller der Grünen Woche mit ihren Produkten auf uns. Ich probiere mich durch Rosenmarmeladen, ergattere Frühstücksflocken und Dinkellakritz, bevor ich mich bei zwei Mikrobrauereien durch die Biere probiere und mich mit einem echten Saimaa Bier auf die Terrasse begebe. Der Blick auf den Saimaa ist so wohltuend, dass ich zum ersten Mal seit drei Tagen vollkommen entspanne.

Abends erwartet mich ein großes Essen. Die Familie Kuivalainen setzt auf regionale Produkte, möglichst bio. Der Hang zu regionalen Produkten ist typisch finnisch.

Der deutsche Discountriese LIDL stellte nach seinem Markteintritt in Finnland fest, dass die Finnen keineswegs auf das Billigkonzept des deutschen Discounters gewartet haben. Der finnische Konsument bevorzugt Lebensmittel, die möglichst vor Ort oder zumindest in Finnland selbst produziert worden sind. Erst die Einführung eines großen Sortiments finnischer Erzeugnisse rettete LIDL in Finnland vor einer Pleite.

Auf meinem Teller finde ich eine der Regenbogenforellen, deren Zuchtanlage ich nachmittags besucht hatte.

Nach drei Gängen, viel Rotwein und einer angeregten Unterhaltung mit unserem Busfahrer, wird die Rauchsauna geöffnet. Die ursprünglichste aller Saunen, die man ausprobieren kann.

Die estnische Rauchsauna hat es 2014 auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO geschafft. Doch auch in Schweden und Finnland ist diese alte Art zu saunieren bekannt. Wenngleich sie in Finnland kaum noch vorzufinden ist.

Die Rauchsauna ist innen stockfinster und verrußt. Sie wird mit einem Holzofen beheizt, ohne dass ein Rauchrohr oder Schornstein die Rauchgase ableitet. Erst bei Betriebstemperatur werden an der Decke befindliche Entlüftungsklappen kurz geöffnet, um den toxischen Rauch entgleiten zu lassen. Dafür braucht es mehr Erfahrung, als beim Anheizen einer modernen Sauna.

Wie in Finnland üblich, saunieren die Geschlechter getrennt von einander. Heute Abend sind zuerst die Frauen dran, die nach dem Saunagang nackt in den Saimaa See springen.

Es ist Nacht, als ich ins Bett und tiefen Schlaf falle. Glücklich. Satt. Betrunken. Wehmütig. Morgen ist mein letzter Tag in Finnland.

Siehe auch:

1. Teil: Auf der Suche nach Finnlands wilder Seite
2. Teil: Die Piroggen des Ministers

Schlimme Helena

Im vierten und letzten Teil der Serie erfahren wir bald, wie die Reise weitergeht, und ob es Überlebende gab.

Die Recherche vor Ort wurde freundlicherweise von MTK (Finnischer Zentralverband der landwirtschaftlichen Produzenten und Waldbesitzer) sowie der Messe Berlin unterstützt.

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