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Das Leben nach dem Brexit

Wenn die Müllabfuhr nicht kommt, und andere Folgen des Brexit

Neulich hörte ich einen Spruch, der es meiner Meinung nach auf den Punkt bringt: „Brexit war die Lösung für ein Problem, das es nie gegeben hat.“

Seit Januar ist der Brexit nun vollzogen. Die Übergangsphase ist vorbei. Wie lebt es sich in diesem „guten alten“ Vereinigten Königreich?

Müll in Putney Common
Überbordender Müll in Putney Common, London Borough of Wandsworth.
(Symbolbild: John Cameron)
Da sich vieles durch Corona verändert hat, ist es für Briten manchmal schwer, die Folgen des Brexits als solche wahrzunehmen, ohen sie einfach auf die Pandemie zu schieben. Ich werde versuchen, beides voneinander zu trennen, soweit dies möglich ist.

Es fängt vor meiner Haustür an, mit unserer Biotonne. Diese wurde nun schon mehrmals in Folge nicht geleert, da nicht genügend LKW-Fahrer zur Verfügung standen. Wem in meiner Nachbarschaft also bisher der Brexit noch nicht gestunken hat, dem tut er es jetzt, in Form einer Mülltonne, in der es gärt.

Nicht nur meine Nachbarn, sondern mindestens 18 Regionen im Vereinigten Königreich sind von der Müllabfuhrkrise betroffen.

Natürlich wird dies auch wieder mitunter der Pandemie in die Schuhe geschoben, die viele Fahrer in die Quarantäne „gezwungen“ habe. Dies erklärt jedoch nicht, wieso Großbritannien seit dem Brexit 100.000 LKW-Fahrer verloren hat.

Dieser Verlust lässt sich auch in Supermärkten, in Pubs, bei IKEA und vielen weiteren Unternehmen spüren. Wir konnten wochenlang keinen Klarspüler in Geschäften finden.

Bei der BBC berichtete ein Bauer, wie ihm und seinen Kollegen gesagt wurde, sie sollen ihre Kuhmilch wegschütten, da keine LKW-Fahrer zur Verfügung stünden, um diese abzuholen. Der Bauer hat schließlich eine andere Lösung gefunden und die Milch anderswo verkauft. Das Problem mit den Fahrern bleibt jedoch bestehen.

Ausgerechnet die Pub-Kette Wetherspoons, die dem großen Brexit-Befürworter Tim Martin gehört, musste aufgrund Fahrermangels Einschränkungen im Bierangebot hinnehmen.

Auch IKEA ist von dem Mangel an LKW-Fahrern betroffen. Der Konzern hat Probleme mit der Lieferung von über 1.000 Produktlinien.

Die Supermarktkette Morrisons machte in diesem Quartal weniger Gewinn als erhofft, und schiebt die Probleme mitunter auch auf die schwer zu findenden LKW-Fahrer. Sie warnt nun vor steigenden Lebensmittelkosten, und verlangt von der Regierung, dass es EU-Fahrern erleichtert werde, hier zu arbeiten. Davon will Verkehrsminister Grant Shapps allerdings nichts wissen. Er meint, das Vereinigte Königreich müsse auf eigenen Füßen stehen. Wie genau das gehen soll, wird natürlich nicht verraten.

Außerdem verzögern sich die Lieferungen der Grippe-Impfung.

Zusätzlich zu alledem gibt es Export-Probleme in die EU. Ich wollte meinem Vater wie jedes Jahr Schokolade zu seinem Geburtstag schicken. Jedoch lieferte die gewohnte Firma, zumindest übergangsweise, nicht mehr in die EU. Eine von vielen Firmen, die sich nun mit neuen Zöllen und Formularen quälen muss. Das alles führte dazu, dass das Vereinigte Königreich nun zum ersten Mal seit 1950 seinen Platz in Deutschlands Top 10 Handelspartnern verloren hat.

Brexit-Befürworter behaupten hartnäckig, dies seien alles Übergangsprobleme. Auch wenn es bisher keinen einzigen fühlbaren Vorteil des Brexit gibt, sondern nur sehr deutliche Nachteile, halten sie stur an ihrer Brexit-Ideologie fest. Wir sind nun frei! Was wir von dieser Freiheit haben, können sie nicht erklären. Die LKW-Fahrer müssen nun endlich besser bezahlt werden, sagen sie. Aber wer wird sie besser bezahlen? Woher wird dieses Geld kommen?

Was die Zukunft bringen wird, kann niemand voraussagen. Ich kann nur die momentane Lage beschreiben, und sie stinkt.

Bis zum nächsten Mal, bei dem ich euch über die Migrantenkrise, Ärmelkanalüberquerungen und dem „Würstchenkrieg“ in Nordirland erzählen werde.

Pia Kurtsiefer

QUIZ

Über die Autorin
2004 zog Pia Kurtsiefer aus dem Rheinland nach London, um als Lehrerin in einer Schule für autistische Kinder zu arbeiten. Heute lebt sie mit Kind und walisischem Mann in Hertfordshire. Für NORDISCH.info schreibt sie die Serie „Briefe aus England“.

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