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John Dees „Geisterspiegel“

England: Forscherteam klärt Herkunft von 500 Jahre altem Obsidian-Artefakt

Es gibt spannende Forschungsergebnisse der Universität Manchester zu einem Gegenstand aus dem 16. Jahrhundert, der offenbar weit gereist ist, um Einfluss auf die Sichtweisen und Entscheidungen keiner Geringeren als Königin Elisabeth I. zu nehmen.

Hintergrund der Forschung

Bei dem Gegenstand handelt es sich um einen sogenannten „Geisterspiegel“ aus vulkanischem Obsidian, der sich einst im Besitz von John Dee befand.

Dee, ein Universalgelehrter mit ausgeprägtem Interesse an Feldern wie der Mathematik, der Alchemie und der Astrologie, galt als enger Vertrauter und Berater der Königin. Gerade in den ersten Jahren nach ihrer Thronbesteigung im Jahr 1558 soll ihn die Regentin mehrfach aufgesucht und um Rat gefragt haben.

Dee galt als einer der führenden Intellektuellen seiner Zeit. Er verfügte über eine der größten Bibliotheken Europas. Seine „erhaltenen Aufzeichnungen sind für das intellektuelle Verständnis des 16. und frühen 17. Jahrhunderts von großer Bedeutung“, umriss dieser Tage Stuart Campbell, Professor an der Universität Manchester, in einem CNN-Bericht einen Teil von Dees historischem Stellenwert.

Zugleich aber sei für den Gelehrten das Übernatürliche untrennbar mit der Wissenschaft verbunden gewesen. Nach und nach sei Dee dabei dem Versuch erlegen, mithilfe von Wahrsagerei auch die Zukunft zu erfassen, was man im Umfeld der Königin scheinbar immer skeptischer zur Kenntnis nahm.

„Möglicherweise war es sein wachsendes Interesse“ am Okkulten, so Campbell, „das seine Rolle am Hof gegen Ende der 1570er Jahre allmählich untergrub.“ Gepaart mit einem wachsenden Maß an Unzufriedenheit, das Dee mit Blick auf die Fortschritte seiner weltlichen Erkenntnis-Bemühungen verspürt haben soll.

john dee
Ambivalente Persönlichkeit: Der Universalgelehrte und als Schwarzmagiker verschmähte John Dee in einer Darstellung aus dem Jahr 1594. (© Ashmolean Museum, University of Oxford)

Der Geisterspiegel aus Obsidian

Zentraler Gegenstand der aktuellen Forschung von Campbell ist besagter Geisterspiegel aus Obsidian, einem vulkanischen Gesteinsglas, das bei rascher Abkühlung von Lava in Verbindung mit einem bestimmten Massenanteil von Wasser entsteht (s. unten).

Laut der vor gut einer Woche veröffentlichten Studie wurde ein solcher Spiegel von Dee benutzt, um mit dem Jenseits, mit Geistern in Kontakt zu treten. Damit folgte er offensichtlich einer aztekischen Tradition, die Obsidian eine außerordentliche spirituelle Bedeutung beimaß.

Genau gesagt hatten in der aus europäischer Sicht neuen Welt Mittelamerikas die Azteken das vulkanische Gesteinsglas nicht nur in ihre medizinischen Praktiken mit einbezogen, sondern nutzten es dank seiner reflektierenden Eigenschaften auch zur Abwehr böser Geister und als Seelenfang.

„Das 16. Jahrhundert war eine Zeit, in der exotische Objekte aus der Neuen Welt nach Europa gebracht wurden und der intellektuellen Elite der damaligen Zeit aufregende Impulse gaben“, schildert Campbell den geografischen Zusammenhang.

So konnte das Wissen um die spirituelle Bedeutung von Obsidian bei einem wie Dee nur auf fruchtbaren Boden stoßen, ist sich Campbell sicher: „Neuartiges aus Amerika gelangte zwangläufig in die Sammlungen des Adels und der Intellektuellen.“

Und gerade Letztere – also Menschen wie John Dee, die sich als Wissenschaftler verstanden – hätten solche Artefakte dann auch mit großem Interesse genutzt. Bestes Beispiel hierfür sei laut Campbell eben jener Obsidian-Spiegel.

„Er hilft uns zu verstehen, wie europäische Entdeckungsreisen, die zunächst auf katastrophalen Eroberungen gründeten, letztlich auch mit dem intellektuellen Versuch einhergingen, die Welt besser zu verstehen.“

Die bislang offene Herkunft des Obsidian-Spiegels

Offen war bislang jedoch, ob sich der von Dee genutzte Obsidian-Spiegel, sozusagen als Nachbau, lediglich an der aztekischen Tradition orientierte. Oder ob er im 16. Jahrhundert tatsächlich den Weg von Mittelamerika nach England gefunden hatte.

Nach eingehender geochemischer Analyse des Dee-Spiegels und weiterer Artefakte aus dem Britischen Museum konnte das Forscherteam der Universität Manchester nun die Herkunft des Obsidians offiziell klären.

Tatsächlich stammt der Spiegel aus Mittelamerika, genauer aus dem Umfeld der zentralmexikanischen Stadt Pachuca, die als eine Hauptbezugsquelle des von den Azteken verwendeten Obsidians gilt.

Laut Einschätzung der Forscher ist Dees Spiegel etwa 500 Jahre alt, hergestellt wahrscheinlich unmittelbar vor oder nach der spanischen Eroberung Mexikos im Jahr 1521.

Landkarte Obsidian Mexiko
Karte zu den Obsidian-Quellen in Mexiko, denen die untersuchten Artefakte zugeordnet werden konnten. (Darstellung: University of Manchester)

„Wir wissen“, so Campbell, „dass der spanische Eroberer Hernán Cortés gezielt Gegenstände bei aztekischen Handwerkern in Auftrag gab, um sie an den spanischen Hof zu schicken.“ Möglich sei, dass es sich beim von Dee genutzten Spiegel um genau solch eine Auftragsarbeit handele.

Anwendung des Obsidian-Spiegels im Okkultismus

John Dees Anwendung des Obsidian-Spiegels folgte Prinzipien einer bestimmten Form der Wahrsagerei, die im 16. Jahrhundert erstmals unter dem Begriff der Katoptromantie (Katoptrik = Lehre von der Lichtreflexion an spiegelnden Oberflächen) Erwähnung fand.

Beschrieben wird die Katoptromantie als das Ziel, Wahrsagung aus Spiegelungen zu erfahren, die in Metallen, Gläsern oder eben Obsidian abgebildet sind. Objekten also mit spiegelnder Oberfläche, wobei etwa die Art der Spiegelung Aufschluss über bestimmte Ereignisse in der Zukunft geben sollte.

Klare Spiegelungen beispielsweise konnten im Verhältnis zu verzerrten oder trüben als gute Vorzeichen interpretiert werden. „Befragt“ wurden Spiegel bei Krankheit, zum Aufspüren verborgener Gegenstände oder auch zur Klärung wichtiger Personalfragen.

So soll etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts auch Caterina de’ Medici, eine weitere prominente Person dieser Zeit (und seit 1547 französische Königin), den Spiegel zu künftigen Machthabern befragt haben. Wissen ist Macht, erst recht das über die Zukunft, werden sich führende Köpfe wie Dee und De’ Medici damals gedacht haben.

Weiterführende Informationen

  • John Dee (*13. Juli 1527 / †1608 o. 1609) war ein englischer Mathematiker, Astronom, Geograph und Mystiker, dem neben seiner viel zitierten Beschreibung als Universalgelehrter schon zu Lebzeiten ein gewisser Ruf vorauseilte.

    Unter Königin Maria I. der schwarzen Magie und der Zauberei bezichtigt, wurde er unter Thronfolgerin Elisabeth I. zum Hofastrologen und königlichen Berater berufen. Durch stetigen Zukauf wuchs seine hauseigene Bibliothek auf rund 4.000 Bücher an, was seine Schriftsammlung seinerzeit zur größten in England machte.

    Geprägt war Dees Leben von zahlreichen Wendungen und Brüchen, sowohl in beruflicher als auch privater Hinsicht. Er war dreimal verheiratet und hatte acht Kinder. Als Schwarzmagier verschmäht, verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens in Armut.

  • Obsidian ist ein natürlich vorkommendes Gesteinsglas mit vulkanischem Ursprung, das sich namentlich von einem Römer namens Obsius ableitet, der als erster Mensch in der Antike Obsidian von Afrika mit nach Rom gebracht haben soll.

    Zur Entstehung von Obsidian kommt es bei rascher Abkühlung von Lava in Verbindung mit einem Massenanteil von Wasser, der bei maximal 3 bis 4 Prozent liegt. Bei einem höheren Gehalt kommt es bei schneller Abkühlung zur Bildung von Bimsstein – und bei langsamer Abkühlung zur Entstehung von Pechstein.

    Charakteristisch für Obsidian ist zudem, dass es sich hierbei nicht um eine regelmäßige Kristallstruktur handelt, sondern um ein amorphes und damit strukturloses bzw. ein gewissermaßen chaotisches Gefüge.

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