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Vom hohen skandinavischen Norden bis runter nach Schleswig-Holstein

Neue Studie: Wikinger nutzten für Handel mit Haarkämmen wohl riesiges Routennetz

Dass die Wikinger weit mehr als von Feindesblut berauschte Plünderer waren, dürfte inzwischen als allgemein bekannt gelten – trotz manch anderslautender Darstellungen durch die Unterhaltungsindustrie. Abseits ihrer Eroberungen waren die Nordmänner nämlich vor allem eines: ökonomisch umtriebig.


Bild 1: Zwei der Kämme, die mit Hedeby / Haithabu assoziiert werden. (University of York)
Bild 2: Mögliche Handelswege der Hedeby-Wikinger nach Norwegen und Schweden. (University of York)
Bild 3: Das Areal, auf dem sich bis weit ins 11. Jh. hinein Hedeby befand. (Matthias Süßen / CC BY-SA 4.0)
Bild 4: Archäologisch rekonstruierte Wikingerbauten im Freilichtmuseum Hedeby. (Matthias Süßen / CC BY-SA 4.0)
Bild 5: Kartografische Darstellung der ehemaligen Wikinger-Siedlung Hedeby. (Alexander Leischner / CC BY-SA 3.0)

Eine interessante neue Studie der Universität York in England hat es nun tatsächlich fertiggebracht, die in Teilen ungeahnt große Verflechtung von Wikinger-Handelsrouten am Beispiel modischer Accessoires zu erforschen. Konkret: am Beispiel von Haarkämmen.

Was die Bedeutung einzelner Handelsbeziehungen und – überhaupt – das wirtschaftliche Zusammenspiel der verschiedenen Wikingerwelten betrifft, bestanden und bestehen laut Archäologe Steven Ashby von der University of York noch erhebliche Fragezeichen.

„Wir müssen noch viel über das Leben in der Wikingerzeit lernen. Vor allem, wie die Menschen umherzogen und wie stark die von Wikingern besiedelten Regionen wirklich miteinander verbunden waren“, teilte der Wissenschaftler vor wenigen Tagen in einem Pressestatement mit.

Daher auch sei es inzwischen ein elementarer Ableger der Forschung, solche Verbindungen überregional zu untersuchen. „Wir sind gerade dabei, eine ganze Reihe von Fragen über den zeitlichen Ablauf von Reisen und Handel in der Wikingerzeit zu beantworten“, so Ashby weiter.

In Hedeby / Haithabu wurden fast 300.000 Geweihfunde gemacht – rund 90 % stammen aus Skandinavien

Jüngstes Beispiel hierfür ist ein Forschungsprojekt, das die University of York zusammen mit internationalen Partnern durchgeführt und Ende August in einem viel beachteten Fachbeitrag bei Antiquity veröffentlicht hat.

Inhaltlich geht es dabei – wie eingangs erwähnt – um jenes Handelsnetz, das die Wikinger vor weit über 1000 Jahren rund um die Produktion und den Handel mit Haarkämmen etabliert zu haben scheinen. Und ein Zentrum dieses Handels muss Hedeby / Haithabu im heutigen Schleswig-Holstein gewesen sein.

Im Kern zeigt die Studie, wie sehr ein für damalige Verhältnisse großes Handelszentrum wie Hedeby mit der skandinavischen Peripherie verbunden sein konnte, wo im konkreten Fall die natürlichen Ressourcen für das Wikinger-Produkt Haarkamm schlummerten.

Oder besser: Als Jagdziele durch die Wälder streiften, da den Analysen zufolge fast alle der sage und schreibe 300.000 Geweihfunde, die in Hedeby gemacht wurden, von Rentieren aus dem hohen Norden stammen. Mit möglichen Zwischenstationen in Siedlungen wie Kaupang oder Birka (s. Bildergalerie).

Dazu muss man wissen, dass Hedeby einst eine der größten städtischen Siedlungen in der Wikingerzeit war und den Nordmännern einerseits als wichtiges Bindeglied zwischen Nord- und Ostsee sowie andererseits zwischen Skandinavien und dem „kontinentalen“ Europa diente.

Hedeby-Route hoch nach Skandinavien bereits um das Jahr 800 n. Chr. etabliert

Mithilfe neuartiger Analysemethoden fanden die Forscher nun heraus, dass sage und schreibe 90 Prozent der hier gefundenen Geweihreste von Rentieren (Rangifer tarandus) stammen, deren geografische Herkunft in Europa eindeutig in Nordskandinavien liegt.

Zwar ist noch offen, ob die Kämme eher in Nordskandinavien hergestellt und importiert wurden – oder ob und in welchem Umfang die Geweihreste in Hedeby auch Ausdruck anderweitiger Produktionsprozesse sind (es wurden ja längst nicht nur Kämme gebraucht). Das werden weitere Nachforschungen zeigen müssen.

So oder so steht fest: Die Hunderte Kilometer lange Handelsroute ins norwegische oder schwedische Hochland funktionierte von Hedeby aus scheinbar bestens und wurde offenbar schon überraschend früh etabliert.

Denn die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Route bereits um 800 nach Christus bestand. Und damit kein Jahrzehnt nach dem Wikingerüberfall auf Lindisfarne in England am 8. Juni 793, der gemeinhin als Beginn der Nordmann-Ära angesehen wird.

„Die Arbeit in Hedeby ist besonders interessant, da sie uns Aufschluss über die Verbindungen zwischen den Bergen des Hochlands oder des arktischen Skandinaviens und dieser großen Stadt am Tor zum europäischen Festland gibt“, fasst Ashby zusammen. Noch aber sind viele Fragen offen.

Hintergrund: Haithabu / Hedeby war eine bedeutende Wikinger-Siedlung, die wahrscheinlich um das Jahr 1066 zerstört worden ist. Zuvor war Hedeby über viele Jahrzehnte ein zentraler Umschlagsplatz für den Fernhandel zwischen Skandinavien, Westeuropa und dem Nord-/Ostsee-Raum bis ins Baltikum.

Der seit seiner Zerstörung verlassene Ort ist gemeinsam mit dem Danewerk das bedeutendste archäologische Bodendenkmal in Schleswig-Holstein und zählt seit 2018 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Es gibt ein Freilichtmuseum mit rekonstruierten Wikingerbauten und Überreste der Wallanlagen.

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