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Griff ins Leere

Luftgitarren-WM in Oulu: Spielen für den Weltfrieden

Es ist laut, es ist grell, es ist verrückt. Kreischende Fans im Regen und die ganz große Show auf der Bühne. Ohne Verstärker, ohne Musiker, ohne Instrumente. Dafür mit viel Leidenschaft, Energie und der Sehnsucht nach Weltfrieden.

Luftgitarren WM Nanami "Seven Seas" Nagura
Die Japanerin Nanami „Seven Seas“ Nagura gewinnt die Luftgitarren-Weltmeisterschaft 2018 in Oulu.

Gesucht wird nichts weiter als der König im Luftgitarre-Spielen.

Griff ins Leere

Der Griff ins Leere ist hier kein Ausdruck des Scheiterns, sondern ausdrückliche Devise. Man muss keine Noten können, kein Instrument beherrschen. Nur ein wenig verrückt, Rockfan und passionierter Poser sein. Einfach nur so tun, als ob.

Andrew Flying Finn Finn Air guitar 2018 Bühnenshow

Denn darauf kommt es an, bei der Luftgitarren-WM, die hier in der nördlichsten Großstadt der Welt ins Leben gerufen wurde und heute untrennbar mit ihr verbunden ist:

Oulu – das ist das Mekka der „Möchte-Gern“-Angus-Young, Gary Moore oder Eddie van Halen aus der ganzen Welt. Und die wollen nur eins: ihre imaginäre Gibson oder Les Paul durch die Luft schleudern und eine möglichst irre Show mit einer guten Portion „Airness“ abliefern.

Es ist bereits das 23. Mal, dass die Finnen die WM austragen und sie lockt jeden Sommer tausende in die Stadt am Bottnischen Meerbusen.

Oulu (200.000 Einwohner) liegt rund 600 Kilometer nördlich der finnischen Hauptstadt Helsinki. Wir messen 14 Grad, es hat fast den ganzen Tag geregnet und es fühlt sich mehr herbstlich als sommerlich an.

Matt Airistotle Burns
Mehrmaliger Weltmeister aus den USA, Matt ”Airistotle” Burns.

Weltmeister des vergangenen Jahres ist übrigens Matt „Airistotle“ Burns aus den USA. Ein Deutscher belegte 2017 den zweiten Platz. Dieses Jahr sind ambitionierte „Saitenquäler“ aus den USA, Kanada, Japan, Frankreich, Australien, Finnland und Deutschland dabei.

Dark Horses

Acht Teilnehmer haben sich über Ländermeisterschaften direkt für das Finale qualifiziert. Weitere sieben werden bei den „dark horses qualifications“ ermittelt. Der Titel hängt mit einem finnischen Ausdruck zusammen: Das schwarze Pferd (finn: musta hevonen), das überraschend das Rennen macht, das niemand zuvor auf dem Schirm hatte.

Ort des Geschehens: der legendäre Rockclub 45special. Eigentlich viel zu klein für so eine Veranstaltung, aber genau richtig für die passende Stimmung. Es ist eng, es ist warm und die Luft knistert. Alle sind bereit für den puren Rock und Heavy Metal ohne Instrumente. Und das Publikum ist gerüstet, jeden Teilnehmer anzufeuern und seinen Mut mit viel Beifall und Gejohle zu belohnen.

Air guitar WM 2018 Luftgitarren-WM 2018 Oulu Luftgitarre Weltmeisterschaft Oulu

Nach zwei Stunden, vielen Bieren und noch mehr Schweiß stehen sieben weitere farbenfroh kostümierte Finalisten fest, darunter auch „Moredrive“, der im richtigen Leben Daniel Oldemeier heißt, aus Osnabrück kommt und Musik studiert hat.

„Das hier ist etwas komplett anderes. In einer Minute etwas auszudrücken, ohne etwas in der Hand zu haben, und das Publikum mitzunehmen, das ist eine komplett andere Herausforderung,“ sagt Oldemeier kurz nach dem Auftritt noch voller Adrenalin.

Luftpumpen des Grauens

„Die Luftpumpen des Grauens“ hat Michael Setzer die verhaltensauffälligen Rockfans in den Stuttgarter Nachrichten (21.8.2017) genannt. Und so manchem Vollblut-Rocker gefriert das Blut in den Adern bei dem schaurigen Spiel auf der Bühne.

Sicher, Rock’n Roll soll Spaß machen, das war immer Teil des Versprechens und der Magie. Machen sich die Guitar heroes lustig über die Ikonen des Rock?

„Keineswegs. Hier geht es um etwas anderes. Es geht um den Geist, den die Luftgitarre verkörpert. Hier geht es nicht um Geld oder um Profit, es geht um Freundschaft, um Klimaschutz und um den Weltfrieden,“ sagt der ehemalige Gitarren-Weltmeister und Moderator der Show Justin Howard. „Der Geist, der von Oulu ausgeht, ist ein friedlicher. Von jemandem, der Luftgitarre spielt, kann nichts Böses ausgehen. Das versuchen wir in die Welt zu tragen.“

 Justin Nordic Thunder Howard
Justin „Nordic Thunder“ Howard.

Make Air not war. Das ist das Motto der WM, angelehnt an ein Zitat von Queen-Gitarrist Brian May. Wer eine Luftgitarre in der Hand hält, kann schließlich keine Waffe halten.

Und als Siegesprämie winkt eine echte, handgemachte E-Gitarre.

Viel Wind um Nichts?

Der alte Macchiavelli, der kannte sich aus. „Jeder sieht, was du scheinst, und nur wenige fühlen, was du bist.“, schrieb der berühmte Staatsphilosoph in seinem Werk „Der Fürst“ über die Macht. Er meinte die politische Bühne mit ihrer oftmals symbolischen Politik, die sich in leeren Gesten und substanzlosen Sätzen erschöpft. Viel Wind machen und sich selbst dabei in ein gutes Licht rücken.

Ebenso könnte man die Luftgitarristen verteufeln. Ein Rockspektakel ohne echte Musiker, substanzlose Gesten mit Tönen aus der Konserve. Meister der sinnentleerten Virtuosität.

Wer aber einmal dabei war, sieht das ganz anders. Diese Luftgitarristen sind mit ganzem Herzen dabei, geben alles für eine Minute Ruhm und zeigen die Bandbreite von Airness.

Jury Luftgitarren WM Finnland
Die Jury besteht aus professionellen Musikern.

Dass es hierbei nicht um eine Jux-WM handelt, zeigt auch die hochkarätig besetzte Jury: Profimusiker, Sänger und Gitarristen bekannter finnischer Bands – angeführt von Juha Torvinen, dem Keith Richards Finnlands.

Bewertet werden neben der Bühnenpräsenz und Technik vor allem die Airness. Damit ist die Fähigkeit gemeint, das Spiel auf der Luftgitarre nicht als reine Imitation, sondern als Kunstform zu begreifen.

Eine Minute haben die Luftgitarristen Zeit, bei einem selbstgewählten Song ihr Können unter Beweis zu stellen. Im zweiten Durchgang müssen dann alle zum selben Song, der erst kurz zuvor bekannt gegeben wird, improvisieren.

Make Air not war

Regen bei der WM
Der Wettergott schickt Unmengen an Regen.

Die Bühne am Rotuaari Platz steht im Zentrum der Fußgängerzone und der Vorplatz füllt sich schnell. Tausende wollen die diesjährigen Airguitar Heroes sehen. Und die sind hungrig. Powern sich innerhalb von 60 Sekunden komplett aus und lassen imaginäre Gitarren Wirklichkeit werden. Sie ziehen und zerren an den Saiten, werfen die Gitarre in die Luft, bearbeiten sie, quälen sie, entlocken ihr die letzten Töne; springen, rennen, schleudern ihre Mähnen durch die Luft, fallen auf die Knie, ja explodieren schier.

Selbst das niedergehende Gewitter kann die Besucher nicht abhalten, die Finalisten anzufeuern. Der Wettergott schickt Unmengen an Regen, Blitze und Donner, als wollte er die Show von oben noch zusätzlich anfeuern. Das wäre allerdings gar nicht nötig gewesen. Nass sind ohnehin schon alle und die Show ist feurig genug.

Die Siegerin liefert eine perfekte Show ab

Nanami Nagura Gewinnerin in Finnland Seven Seas Nagura Nanami "Seven Seas" Nagura Luftgitarren-Weltmeisterin

Nanami „Seven Seas“ Nagura erobert schießlich mit ihrer energiegeladenen Cinderella-Performance die Herzen des Publikums und der Jury. Auf Platz 2 landet Matt „The Airistotle“ Burns (USA) und dritter wird Andrew „Flying Finn“ Finn (USA).

Moment des Sieges Nanami Nagura
Nanami „Seven Seas“ Nagura im Moment des Sieges.

„Wenn alle Menschen auf der Welt Ilmakitarra (finnisch für Luftgitarre) spielten, würden Kriege enden und der Klimawandel aufhören,“ ist Jani Kortti überzeugt, der finnische Co-Moderator, Kind der Stadt und von Anbeginn der WM dabei. Aus diesem Grund sei die ganze Menschheit aufgefordert, sich eine Luftgitarre umzuschnallen, einen tiefen Atemzug zu nehmen und anzufangen.

Text und Bilder von Tarja Prüss

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