Über die Faszination der tanzenden Lichter
Kann man Polarlichter hören?
Ehrlich? Mal ganz ehrlich? Ich habe ganz schön Muffe. So ganz allein durch den nächtlichen Wald. Durch die Einsamkeit. Durch die Stille. Durch die Finsternis.
Eine Stunde vor Mitternacht mache ich mich auf den Weg. Das Thermometer zeigt minus 17 Grad. Die Kälte beißt auf der Haut und in der Nase, kleine Atemwölkchen verschwinden lautlos in die Nacht.
Ylläsjärvi heißt der Ort, gut zwei Autostunden nördlich des Polarkreises, und es ist nicht das erste Mal. Und doch bin ich aufgeregt wie ein kleines achtjähriges Mädchen kurz vor dem eigenen Geburtstag. Werde ich heute nacht Nordlichter sehen? Aurora Borealis sagen die Wissenschaftler. Die Vorhersagen sind gut, die Wolken dicht, aber nicht allzu dicht – Wettergott Petrus und alle Himmelsgötter scheinen wohlgesonnen in dieser Nacht.
Aurorahunter
Aurorahunter – Polarlichtjäger nennt man die, die dem Zauber verfallen sind. Auch ich bin schon süchtig nach diesem spektakulären Himmelsphänomen. Auch wenn ich dazu in die beängstigende Dunkelheit und durch den zappendusteren Wald muss. Man sieht die Hand vor Augen nicht. Meine Taschenlampe zeigt mir zwar den Trampelpfad im Schnee an, beleuchtet aber auch auf irrwitzige Art die Umgebung. Leuchtkegel huschen über die Tannen und Kiefern und erzeugen schnell zuckende wandernde Schattenbilder. Unheimlich ist es.
Der knirschende Schnee unter meinen Schuhen das einzige Geräusch. Nein, nicht das einzige. Tsch… tschrrrsch… Es klingt wie jemand, der schlurfenden Schrittes wenige Meter parallel zu mir läuft. Unheimlich. Meine Phantasie geht mit mir spazieren. Entführt mich in Sekundenbruchteilen in alle Horrorfilme dieser Welt.
Ich leuchte mit der Taschenlampe in die Richtung, aus der die merkwürdigen Geräusche kommen. Mein Herz klopft, mein Atem geht schneller. Sicherheitshalber überlege ich mir schon mal einen Fluchtweg. Mein Gehirn versucht gegenzusteuern: du bist in Finnland – da passiert nichts.
Und tatsächlich klären sich die Geräusche auf: Ab und zu lassen Zweige irgendwo ihre Schneelast zu Boden fallen. Tsch… tschrrrsch… Ich stapfe weiter durch den knöcheltiefen Schnee. Gut, dass hier ein Schneeschuhweg festgetrampelt wurde, sonst würde ich knietief einsinken.
Endlich erreiche ich die Lichtung, die ich mir schon bei Tag ausgeguckt hatte. Freie Sicht auf den Himmel. Doch Wolken verdecken Mond, Sterne und Polarlichter. Wenn denn welche da sind. Ich stapfe mir einen Weg frei und positioniere die Kamera.
Erwähnte ich schon eine weitere Voraussetzung neben wolkenlosem Himmel? Geduld. Taschenlampe aus. Meine Angst vor der Dunkelheit ist nicht weg, aber meine Augen gewöhnen sich langsam an die neuen Verhältnisse. Stille.
Mein Knirschen im Schnee hört sich plötzlich überlaut an.
Wieder und wieder suchen die Augen den nächtlichen Himmel ab. Die Wolken ziehen schnell und reißen den verschleierten Himmel auf. Wie ein samtener Vorhang, der sich vor der Premiere hebt. Erste Sterne werden sichtbar. Wie Scheinwerfer, die das Schauspiel beleuchten wollen.
Lady Aurora bittet zum Tanz
Dann beginnt das große Tanzen. Ein Feuerwerk am Himmel. Tanzende Lichter: manche flüchtig und filigran am Firmament, andere huschend, hastend und hüpfend übers Himmelszelt. Verändern Form, Farbe, Größe – mal langsam, mal schnell – immer neue Formationen bilden sich – flackern, flitzen, glühen.
Bögen, Bänder, Vorhänge. Sammeln sich, um dann wieder auseinander zu driften. Blitzen auf, schimmern, pulsieren und verschwimmen miteinander, verglühen. Es betört, berauscht und berührt mich in meinem tiefsten Inneren. Manche machen mich stumm vor Ehrfurcht und Staunen, andere verursachen laute Freudenrufe in die Nacht hinein.
Man könnte auf die Knie sinken, es ist zum Heulen schön. Als ob jemand eine unhörbare Symphonie am Himmel spielt. Eine Melodie aus Farben und Formen, Töne aus Bögen und Rhythmen. Ein Wiegen, Wogen, Dahingleiten – keinem Gesetz, keinem Muster folgend und vielleicht gerade deswegen so betörend schön.
Staunend und aufgewühlt blicke ich zum Himmel, wie die Nordlichter weiter jagen, sausen und Purzelbäume schlagen. Das Fotografieren vergesse ich zwischendurch. Der Zauber ist zu groß, das Spektakel zu einmalig, als es nicht mit eigenen Augen aufzusaugen. Keine Kamera der Welt könnte das einfangen.
Fuchsfeuer
Unweigerlich kommen mir die Mythen in den Sinn, die sich um diese magischen Lichter ranken. Seit jeher verzaubern die grünen und roten Polarlichter. Die Menschen schrieben dem Leuchten allerlei mystische und wundersame Fähigkeiten zu. Offenbarung oder Prophezeihung? Die alten Völker in Lappland, Sibirien und Alaska glaubten, darin Zeichen ihrer Götter oder die Seelen Verstorbener zu sehen.
Das finnische Wort für Polarlicher „revontulet“ wird in verschiedenen Sagen mit dem Polarfuchs in Verbindung gebracht. In einer heißt es, ein weit oben im Norden lebender Polarfuchs berühre beim Herumlaufen die Berge mit seinem Pelz. Dabei entstünden Funken, die sich am Himmel als Nordlichter zeigen. Einer anderen Überlieferung zufolge wirbelt der Polarfuchs den Schnee mit seinem Schwanz so hoch, dass er am Himmel zum Nordlicht wird.
Guovssahasah nennen die Samen das Polarlicht, was so viel bedeutet wie „die Sonne glüht morgens oder abends am Himmel“ und ähnelt damit der lateinischen Bezeichnung Aurora borealis: „nördliche Morgenröte“.
Wie entstehen Polarlichter?
Von Ende August bis in den April hinein kann man sie mit etwas Wetterglück sehen. Vorausgesetzt, es tut sich was auf der Sonne. Gasexplosionen, bei denen elektrisch geladene Teilchen ausgestoßen werden. Diese rasen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch den Weltraum zur Erde, werden vom Magnetfeld der Erde eingefangen und zu den Polen gelenkt.
Dabei stoßen sie mit anderen Luftteilchen zusammen und dabei entsteht dieses merkwürdige Leuchten. Die unterschiedlichen Farben hängen mit den Luftschichten zusammen, in der die Teilchen auf andere stoßen. Grün leuchten Sauerstoffatome in 100 km Höhe, in 200 km Höhe leuchten Sauerstoffatome rot.
Kann man Polarlichter hören?
Manche Menschen behaupten gar, sie hätten die Polarlichter nicht nur gesehen, sondern auch gehört. Lange wurde das als Märchen abgetan. Unmöglich, etwas aus 100 Kilometer Entfernung und mehr zu hören.
Forscher der Aalto Universität in Helsinki untersuchen das Phänomen seit dem Jahr 2000. Sie nahmen Geräusche in Polarlichtnächten auf und registrierten Schwankungen des Magnetfeldes. Aus diesen Daten ließ sich die Geräuschquelle berechnen und so konnte erstmals ein konkreter Zusammenhang zwischen Geräuschen und Lichterscheinung hergestellt werden.
Doch das erklärt noch nicht die Tatsache, dass sie manchmal hörbar wären und manchmal nicht. Erst vergangenes Jahr gelang den Forschern der Beweis. Es braucht besondere Wetterbedingungen. Klares und windstilles Wetter ist notwendig, um den Klang der Aurora zu hören. Dann bildet sich eine Inversionswetterlage, die bodennahe Luft ist kälter als die darüber liegende. Das begünstigt den Transport der Schallwellen. Doch wie die Geräusche genau entstehen, daran wird weiter geforscht.
Auch wenn wissenschaftlich geklärt ist, woher Polarlichter kommen, wie sie entstehen, warum wir sie manchmal sehen und manchmal nicht. Den Zauber, der davon ausgeht, berührt das nicht. Für mich bleibt es Magie.
TEXT und FOTOS von Tarja Prüss
Ja Polarlichter sind immer wieder so ergreifend zu sehen, ich habe das Glück hier in Norwegen, ich lebe hier seit 12 Jahren , öfter welche zu sehen, meist verschlafen wir sie aber ;-). Gehört habe ich jetzt noch nix, ich werde aber mal drauf achten.
LG aus Norwegen
Ina