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Konferenz 100 Jahre Frieden von Tartu

Ein Friedensvertrag feiert Geburtstag

In den Friedensverträgen von Dorpat (estnisch Tartu rahu, finnisch Tarton rauha) schloss Sowjetrussland Frieden mit Finnland und erkannte die Unabhängigkeit Estlands an. Dieses Ereignis jährte sich dieser Tage zum 100. Mal. – Dr. Martin Pabst besucht die zu diesem Anlass stattfindende Konferenz in Tartu, von der er hier berichtet.

Ab dem 11.11.1918 schwiegen die Waffen und mit dem Versailler Vertrag 1919 wurde der Erste Weltkrieg, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ beendet. So haben wir es in der Schule gelernt, so schrieben es in den vergangenen Jahren viele Zeitungen und Magazine.

Estlands Außenminister Urmas Reinsalu auf der „Konferenz 100 Jahre Frieden von Tartu“.
(Foto: Dr. M. Pabst)
Doch gilt dies nur für die Westfront. Nicht für Ostmitteleuropa und erst recht nicht für das Baltikum. Dort hatte sich der Weltkrieg seit der Oktoberrevolution 1917 in eine komplizierte Mischung aus Bürgerkrieg und Unabhängigkeitskriegen verwandelt.

Erst am 01. Februar 1920 begann mit dem estnisch-sowjetischen Vertrag von Tartu eine Reihe von Friedensverträgen. Der Russische Bürgerkrieg sollte – ebenso wie der polnisch-sowjetische Krieg noch weitere Opfer unter Zivilisten wie Soldaten fordern. Doch zumindest für die neuen Republiken Estland, Finnland, Lettland, Litauen und Georgien brachten diese Verträge nicht nur Frieden, sondern auch die diplomatische Anerkennung ihrer Staaten durch die Sowjetunion.

Auch wenn sich innerhalb von nur 20 Jahren zeigen sollte, dass die Anerkennung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität der kleinen Staaten durch die Sowjetunion keineswegs „auf immer und ewig“ sein sollte, wie es die Verträge besagten.

Die Entstehung der Republik Estland kann man zu Recht als „schwierige Geburt“ bezeichnen. Nur einen Tag, nachdem sie am 24. Februar 1918 ausgerufen worden war, hatten kaiserlich-deutsche Truppen die Hauptstadt (und den Rest des Landes) besetzt – und die Ausrufung nicht einmal beachtet.

Mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs geriet Estland – wie auch sein Nachbar Lettland – in einen blutigen Wirrwarr verschiedener Konfliktparteien: „Weiße Russen“ kämpften um die Wiederherstellung des Zarenreichs, die Rote Armee der Bolschewiki für die Errichtung einer neuen Weltordnung. Gegen sie standen nicht nur die estnischen und lettischen Republikaner, sondern auch die deutschbaltischen Eliten, die in Lettland versuchten, ihre alte einflussreiche Position zu behalten. Dazu verbündeten sie sich wiederum mit den deutschen Freikorps, die eine Geschichte für sich sind.

Kurz gesagt: Für die ersten zwei Jahre nach der Ausrufung stand es um die Republik Estland mehr als schlecht. Bis zu diesem Friedensschluss im Februar 1920. Vor diesem Hintergrund ist es nur verständlich, dass die estnische Regierung am Jubiläumswochenende in Tartu einen großen Reigen von Events veranstaltete:

Empfänge, Konzerte, ein Reenactment der Vertragsunterzeichnung genau einhundert Jahre danach – also kurz nach Mitternacht! Und eine illustre internationale Konferenz im Jakob-Hurt-Saal des Estnischen Nationalmuseums ERM.

Eröffnet wurde sie vom Außenminister Urmas Reinsalu:

“Kicked off the #TartuPeace100 Conference with emphasizing the vitality and validity of the Tartu Peace Treaty. Latter remains unchanged and valid from the perspective of #Estonian statehood.”

Das erste Panel, moderiert von Kaarel Piirimäe, war der historischen Bedeutung des Vertrags von Tartu gewidmet. Denn durch die Nutzung des Tallinner Freihafens konnten die Sowjets beispielsweise das internationale Embargo umgehen und vor allem Gold und Kunstschätze in den Westen verkaufen, woran so mancher Beteiligte gut verdiente, wie David Feest schilderte.

Nach dem Mittagessen gehörte die Bühne den Juristen: Gilt der Vertrag von Tartu und die darin festgelegte Grenze noch heute? (Spoiler: Estland sagt ja, Russland sagt nein). Was ist eigentlich ein Friedensvertrag, wann endet die Gültigkeit von Verträgen und wann darf ein Staat einen Vertrag einseitig aufkündigen? Glücklich, wer Expertinnen wie Marie Jacobsson oder Jarna Petman zuhören darf, deren Vorträge so mitreißend und spannend waren, dass man keine Chance hatte, in ein „Suppenkoma“ zu fallen.

Im letzten Panel diskutierten dann die Politikwissenschaftler und -analysten die Lage kleiner Staaten in der turbulenten Gegenwart. Hiski Haukkala aus Tampere stellte klar: “Timing is essential: Every boy who ever asked a girl out for a date knows that. It’s the same with small states and diplomacy.”

Während draußen ein wenig Schnee fiel – wenn auch nicht liegen blieb – diskutierten die Teilnehmer noch lange bei einem Glas Sekt und Blini im Foyer des ERM.

Ein ausführlicher Bericht der Konferenz ist unter www.dr-martin-pabst.de/post/100-jahre-friede-von-tartu veröffentlicht.

Über den Autor
Dr. Martin Pabst studierte Geschichte und Theologie und wurde mit einer Arbeit zur Reformationsgeschichte Rigas promoviert. Er arbeitet als Wissenschaftlicher Leiter des Deutsch-Baltischen Jugendwerks sowie freiberuflich als Autor, Studienleiter und Vortragsredner. twitter.com/Dr_Martin_Pabst

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