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Brief aus England

Das Brexit-Chaos geht in eine neue Runde, mit neuem Premier?

Heute ist ein entscheidender Tag in der Brexit-Saga. Tory-Rebellen haben sich Labour angeschlossen, um einen No Deal-Brexit zu stoppen. Am Nachmittag wird das Ergebnis dieser Abstimmung bekannt gegeben.

Brexit Boris Johnson
Quo vadis, Britannia?
Es wird erwartet, dass Boris Johnson verliert, und daraufhin Neuwahlen für den 14. Oktober ausrufen lässt. Diese müssen jedoch von der Regierung abgesegnet werden, und das wird das Spannende heute sein: Labour muss zustimmen, da Johnson nur eine Stimme Mehrheit im Parlament hat.

Wird heute entschieden, dass am 14. Oktober gewählt werden soll, kann Johnson später seine Meinung ändern und die Wahlen auf November verschieben lassen, nach dem Brexit. Das kann er tun, da er das Parlament ab nächster Woche beurlaubt hat (was juristisch in London, Edinburgh und Nordirland angefochten wird). Diese vermeintliche Finesse von Johnson jedoch ist durchschaut und nun muss abgewartet werden, was heute Abend passiert.

Boris Johnson tut so, als ob er den Brexit schnell über die Bühne bringen werde, damit sich das Land endlich wieder auf wichtige Themen konzentrieren könne. Als ob ein Austritt ohne Abkommen bedeutet, dass für andere Themen viel Zeit bleibt.

Als erstes Zeichen seiner Gutmütigkeit versucht Johnson, sich bei der Bevölkerung einzuschleimen, indem er Schulen und dem NHS mehr Geld verspricht (nachdem die Tories unter Osborne 2015 Ausgaben für beide extrem gesenkt haben und die momentane Krise überhaupt erst ausgelöst haben). Wer fällt auf ihn rein?

Ich hatte das Vergnügen, mich in der vergangenen Woche auf Facebook mit einer Gruppe von örtlichen Brexiteers anzulegen. In meinem Bekanntenkreis kenne ich keine, oder sie geben es mir gegenüber nicht zu, also musste Facebook her. Die Argumente der Brexiteers waren erstaunlich! Die Konversation ging in etwa so: „Was erhofft Ihr Euch vom Brexit?“ Antwort: „Kontrolle über unsere Grenzen, Souveränität über unsere Gesetze, Freiheit vom undemokratischen Europa (besonders ironisch wenn man bedenkt, wie Boris Johnson an die Macht kam) und bessere Rechte für unsere Fischer.“ Immer das Gleiche.

Wenn ich anführe, wie es tatsächlich aussehen wird, dass wir weiterhin auf Europa (als ob Großbritannien nicht zu Europa gehörte) angewiesen sind und verhandeln müssen und auch Kompromisse treffen müssen, kommt nichts mehr. Wenn außerdem gefragt wird, wie das Problem mit der Grenze in Irland gelöst werden soll, kommt die amüsanteste Antwort. Es gäbe kein Problem. Das sei alles ein Konstrukt der EU, Angstmache. Sowieso sei alles Angstmache, von Medikamentenmangel bis zur Verzögerung von Lebensmittellieferungen.

Alles Panikmache der Remainer. Wenn man fragt, was für Vorkehrungen bisher getroffen wurden, wird man ignoriert.

Dann habe ich gar gefragt, ob ihnen bewusst sei, dass sie für einen Bruchteil der hiesigen Studiengebühren in der EU studieren könnten, zum Beispiel. Keine Antwort. Wahrscheinlich war es eine dreiste Frage.

Also fragte ich wieder bezüglich Irland, und bekam eine noch bessere Antwort als die mit der Verschwörung. „Wir haben den Brexit unter größtmöglicher Ausübung der Demokratie in der gesamten Geschichte gewählt.“ Vor Schreck ist das Pfund heute erst einmal auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren gesunken. Zum Glück wird der gute Boris alle(s) retten. Und wenn nicht, dann ist die EU schuld!

Pia Kurtsiefer

Über die Autorin
Vor 15 Jahren zog Pia Kurtsiefer aus dem Rheinland nach London, um als Lehrerin in einer Schule für autistische Kinder zu arbeiten. Heute lebt sie mit Kind und walisischem Mann in Hertfordshire. Für NORDISCH.info schreibt sie die Serie „Briefe aus England“.

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