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„Wer waren diese Menschen?“

Wales: Rätselhafter Friedhof aus dem 6. Jh. entdeckt – am Ende der Landebahn von Cardiff Airport

Faszinierende archäologische Entdeckung trifft ungewöhnlichen Fundort: Gleich hinter der Landebahn des internationalen Flughafens von Cardiff finden aktuell Ausgrabungen an einem frühmittelalterlichen Gräberfeld statt, das der Fachwelt gleich mehrfach große Rätsel aufgibt.


Bilder 1 bis 3: University of Cardiff
Bilder 4 bis 6: Red River Archaeology

Denn es gibt klare Anzeichen, dass hier wohl ab dem 6. Jahrhundert Dutzende Menschen begraben wurden, die einerseits einen hohen, im Kern aber noch offenen Sozialstatus innehatten. Und von denen einige in Körperhaltungen beigesetzt wurden, für die es keine schlüssige Erklärung gibt.

Jedenfalls bis jetzt, wobei das Team um Dr. Andy Seaman, Spezialist für frühmittelalterliche Archäologie von der Universität Cardiff, erst 18 von schätzungsweise 70 Gräbern des Friedhofs untersuchen konnte.

Das Gesamtbild der riesigen Stätte resultiert also zwangsläufig aus kleinen Erkenntnisschritten, die spannender kaum sein könnten. So wurden – quasi „on top“ – schon teils sehr außergewöhnliche Artefakte als Grabbeigaben geborgen. Selbst die Sekundärnutzung des Friedhofs ist noch ein Rätsel.

Laut einer Einschätzung von Dr. Seaman scheint das Gräberfeld jedenfalls weit mehr als ein Ort gewesen zu sein, an dem man Verstorbene einfach ins Jenseits verabschiedete. Stattdessen könnte dieser Friedhof ein sehr sozialer, kommunikativer und lebensbejahender Ort gewesen sein.

„Wir neigen dazu, uns einen Friedhof als geschlossenen Raum vorzustellen, den wir nicht wirklich gerne aufsuchen“, teilte Dr. Seaman in einem Pressestatement mit. „Aber hier war er wahrscheinlich ein zentraler Bestandteil des Lebens, so wie es uns auch schon andere Grabfunde zeigten.“

Wie das dann konkret aussah, muss noch ermittelt werden. Für den Archäologen steht jedoch fest, dass man hier auch abseits der Begräbnisse zusammenkam. „Sie begruben ihre Toten, aber sie gingen an diesem Ort auch anderen Sozialpraktiken nach, einschließlich Essen, Trinken – Schlemmen.“

Hochwertige Importware aus Frankreich und Nordafrika deutet auf hohen Sozialstatus hin

Glücklicherweise scheinen viele der Skelette, obwohl sie rund 1.500 Jahre auf dem Buckel haben, noch bestens erhalten und vollständig zu sein. Das erleichtert vieles an Analysearbeit, wenngleich auch das nicht immer gleich zur Lösung führt.

Airport Cardiff
Näher könnten sich Moderne und frühes Mittelalter kaum sein: Die Grabstätte liegt wenige Meter von der Landebahn des Cardiff Airport entfernt. (Bild: Clint Budd / CC BY 2.0)

„Wir haben einige Zähne, die auf eine seltsame Weise abgenutzt sind. Das könnte auf ihre Verwendung als Werkzeuge hindeuten“, lautet die Einschätzung einer an dem Projekt beteiligten Osteoarchäologin von der Universität Reading.

„Vielleicht für Textilarbeiten, Lederarbeiten oder Korbflechten. Sie müssen regelmäßig irgendetwas durch ihre Vorderzähne gezogen haben“, folgert sie. Waren es also gut betuchte, für damalige Verhältnisse bestens vernetzte Kaufleute, die in der Nähe dieser Stätte arbeiteten und lebten?

Dafür sprechen einzelne Fundstücke, deren Ursprünge definitiv nicht auf der britischen Insel liegen. Ein Beispiel ist ein Glasfragment, laut Dr. Seaman „sehr fein gearbeitet“, das aus der Gegend um Bordeaux zu stammen scheint.

Ein anderes Beispiel für wahrscheinlich importierte Ware sind Keramikstücke, die in Nordafrika hergestellt worden sein könnten. Weiteres wird sich finden, es sind ja schätzungsweise noch 50 Gräber zu öffnen und zu analysieren.

Apropos Gräber: Wie eingangs erwähnt, gibt es auch bei der Art einiger Beisetzungen große Fragezeichen. Denn sie weichen stilistisch stark von dem ab, was man mit Blick auf das 6. und 7. Jahrhundert als gewöhnlich bezeichnen würde.

Wurden einige Menschen durch die Körperstellung im Grab als „anders“ gekennzeichnet?

Konkret handelt es sich um erste Skelette, die in einer Art Embryonalstellung mit fest an die Brust gepressten Knien geborgen wurden. Der herkömmliche (und auf diesem Friedhof vorherrschende) „Stil“ war hingegen das Begräbnis flach auf dem Rücken, andere Skelette wiederum liegen seitlich.

Fonmon Castle
Auch ganz in der Nähe liegt Fonmon Castle. Da es im 12. Jahrhundert errichtet wurde, ist ein historischer Zusammenhang mit dem Gräberfeld aber eher unwahrscheinlich. (Bild: fonmoncastle.com)

Auch hier sind sich die Archäologen um Dr. Seaman nicht sicher, was das bedeutet. Wurden einige Menschen durch die Position als „anders“ gekennzeichnet? Oder wurde der Friedhof über einen langen Zeitraum hinweg genutzt, sodass sich die Bestattungspraktiken änderten? Alles noch offen.

Ein schöner Hinweis darauf, dass man auf dem Friedhof als Hinterbliebener womöglich auch eine gute Zeit hatte, ist ein weiteres Artefakt, das laut den Experten aussieht wie ein Utensil aus einem uralten Brett- oder Kartenspiel. Geschnitzt wurde der kleine Stift aus Tierknochen.

Laut einem BBC-Report zu den Ausgrabungen stehen nun DNA-Analysen der gefundenen Skelette an, um auf diesem Weg mehr über die Mitglieder jener ominösen Gemeinschaft zu erfahren, die auf dem Friedhof begraben sind.

„Die vorliegenden Fundstücke zeigen, dass die Menschen Zugang zu sehr hochwertigen Importgütern hatten, an die man nur durch Handels- oder Tauschnetzwerke gelangen konnte. Doch wer genau sind diese Menschen, die hier begraben wurden?“, fragt Dr. Seaman abschließend.

Er weiß, dass noch sehr viel Forschungsarbeit vor seinem Team liegt. Aber am Ende dürften eine Menge neue Erkenntnisse über „eine Gemeinschaft und eine Epoche vorliegen, über die wir noch sehr wenig wissen.“ Man wird noch eine Menge hören von der Landebahn in Cardiff.

Hintergrund: Jungsteinzeitliche Grabfunde belegen, dass die Besiedelung des Gebietes rund um die walisische Hauptstadt Cardiff schon etwa 4.000 vor Christus begonnen hat. Bis zur römischen Eroberung zählte die Region zum Machtbereich des einst mächtigen Stammes der Silurer.

Die Wurzeln der Stadt Cardiff, wie sie heute existiert, liegen allerdings erst im Jahr 1081. Damals ließ Wilhelm der Eroberer (William the Conqueror) auf den Überresten des römischen Kastells eine Burg errichten. Die erste namentliche Erwähnung von „Cardiff“ datiert dann auf das Jahr 1093.

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