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Bronzezeitlicher Meteoriten-Handel quer durch Europa?

Eisen für 3000 Jahre alte Pfeilspitze aus der Schweiz „fiel“ wohl in Estland vom Himmel

In einer Schweizer Sammlung haben Archäologen vor einiger Zeit eine etwa 3000 Jahre alte Pfeilspitze aus dem Eisen eines Meteoriten entdeckt. Erste Annahmen gingen davon aus, ein geografisch „naher“ Einschlag könne den Grundstoff für das kleine Kriegsgerät geliefert haben.

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Die betreffende Pfeilspitze: Womöglich eine estnisch-schweizerische Koproduktion aus der Bronzezeit. (Quelle: zvg / Thomas Schüpbach)

Kürzlich durchgeführte Untersuchungen ergaben aber ein völlig anderes, fast unglaubliches Bild: Demnach sind die Wissenschaftler weitestgehend überzeugt, dass das Eisen der Pfeilspitze von einem Meteoriten stammt, der einst 1600 Kilometer weit weg auf der estnischen Insel Saaremaa niederging.

„Ich hatte gehofft, in unserer Sammlung Artefakte zu entdecken, die aus dem Eisen eines Meteoriten hergestellt wurden, der vor Tausenden von Jahren in unserer Nähe einschlug. Was ich nicht erwartet hatte, war, einen Meteoritenpfeil aus Tausenden von Kilometern Entfernung zu finden“, sagte nun Beda Hofmann vom Naturhistorischen Museum in Bern.

Der Meteorit, um den es geht, müsste den Analysen zufolge irgendwann zwischen 1870 und 1440 vor Christus auf der baltischen Urlaubsinsel eingeschlagen sein. Nicht nur der Fachwelt, sondern auch Touristen ist er unter dem Namen Kaali-Meteorit bekannt.

Den Einschlagsort markiert heute ein fast kreisrunder See (Kaalijärv), der sich in einem etwa 110 Meter breiten Krater befindet. Man kann also erahnen, um was für einen kapitalen und womöglich verheerenden Einschlag es sich in dem bereits damals bewohnten Gebiet gehandelt haben muss.

Das bisschen Meteoriten-Material musste damals für die Waffenproduktion reichen

So gewaltig die Vorstellung vom Einschlag und seinen Folgen auch sein mag, es gab noch einen nicht minder spannenden Nebeneffekt: die Waffenproduktion nämlich, die zu der betreffenden Zeit noch für gut 1000 Jahre ohne das Verarbeiten von Eisenerz auskommen musste.

Kaali-Meteorit
Der Kaali-Meteoritenkrater (Kaalijärv) auf Saaremaa. (Foto Nordisch.info)

Der Grund: Das Verfahren war schlichtweg noch nicht erfunden, weshalb sich die Menschen auf dem Kontinent mit den wenigen Eisenquellen begnügen mussten, die es gab. Mit dem Eisen von Meteoriten, um genau zu sein, das sprichwörtlich vom Himmel fiel.

Doch wie könnte die eisenzeitliche Verbindung vom fernen Estland in die Schweiz ausgesehen haben? Fakt ist zunächst, dass regionale Meteoriteneinschläge für die betreffende Pfeilspitze als zu klein eingestuft wurden. Das ergab die Analyse ihrer chemischen Zusammensetzung.

Gefunden wurde das exakt 2,9 Gramm wiegende Artefakt ursprünglich im 19. Jahrhundert in einer Siedlung aus der späten Bronzezeit (rund 900 bis 800 v. Chr.), womit es zeitlich schon einmal eine grobe Passung mit dem ebenfalls bronzezeitlichen Einschlag des Kaali-Meteoriten gibt.

Vor allem aber entspricht der estnische Meteorit als einer von nur ganz wenigen in Europa der Größenvorgabe, die die Wissenschaftler errechnet haben: und das sind mindestens zwei Tonnen beim Eintreten in die Erdatmosphäre.

Selbst längste Transportstrecken waren alternativlos, um „modernste“ Waffen zu erhalten

Damit wies die Analyse klar in die Richtung des Kaalijärv-Meteoriten, wobei offen ist, ob vor etwa 3000 Jahren der fertige Pfeil oder nur das zur Herstellung benötigte Meteoritenstück aus Eisen in die Schweiz gelangte.

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Die Distanz zwischen Saaremaa (Estland) und Mörigen (Schweiz) beträgt etwa 1600 Kilometer. (Eigene Darstellung / San Jose / CC BY-SA 3.0)

In jedem Fall erscheint plausibel, dass in der Bronzezeit angesichts der relativen Seltenheit verwertbarer Meteoriteneinschläge (häufig unentdeckt oder zu klein) selbst längste Transportstrecken quasi alternativlos waren, um „modernste“ Waffen zu erhalten.

Jüri Peets, ein leitender Forscher in der Abteilung für Archäologie an der Universität Tallinn, dazu gegenüber ERR.ee: „In jener Zeit gab es bereits Kontakte zwischen Nord- und Mitteleuropa. So wurde zum Beispiel unser gesamter Feuerstein importiert.“

Und weiter: „Im Allgemeinen war diese Periode kontinental geprägt, der Großteil des Handels fand auf dem Land und auf Flüssen statt. Daher bin ich nicht sehr überrascht, dass Fragmente des Kaali-Meteoriten die Schweiz erreicht haben.“

Um mehr Indizien für die Theorie beisteuern zu können, sind die Forscher in der Schweiz mit denen aus Estland im engen Austausch. Der Kaali-Meteorit, der im Naturkundemuseum der Universität Tartu aufbewahrt wird, wiegt jedenfalls 622 Gramm.

Welch faszinierender Gedanke, dass sich etwa drei weitere Gramm in der Schweiz befinden könnten. Ein Problem bleibt allerdings: Für die höchste Nachweis-Wahrscheinlichkeit bei der Vergleichsanalyse müsste die Pfeilspitze pulverisiert werden – womit sie für immer verloren wäre.

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