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Von den Wettkämpfen zwischen Schriftstellern und der Grenze zu England

Fünf Gründe, warum Wales anders ist

Mit Spielstärke, blut-roten Trikots und stolzen Fans auf der Tribune ist Wales bislang eine Sensation in einem internationalen Fußballwettbewerb namens Europameisterschaft. Da das Land im Licht der Öffentlichkeit steht, fragen wir uns: was geht mit Wales und woher kommt unser Gefühl, dass das Land des Drachen anders ist?

Ein herrliches Land, nur 247 km von Nord bis Süd und kaum 100 km breit. Viele sagen, nicht viel mehr als Berge in der Mitte. Was liegt am Rand? Strände, überragende Klippen und Menschen. Gut drei Millionen Menschen, die in einem komplizierten Land leben, mit langjährigen Traditionen, Problemen und Mythen. Und einer immer besser werdenden Nationalelf.

Gareth Bale, Spieler bei Real Madrid, ist wahrscheinlich jetzt der berühmteste Waliser Europas, wenn nicht der Welt. Aber was denken wir, wenn uns Dylan Thomas, Aneurin Bevan, Ivor Novello und Catherine Zeta-Jones in den Sinn kommen? Ja, sie sind alle aus Wales, aber nur die Promis in der Beurteilung eines Landes zu berücksichtigen, ist zu einfach. Woraus ist Wales darüber hinaus gemacht? Es folgen fünf Pünkte, die das Verständnis von Wales fördern.

1. Traurigkeit als gemeinsame Kraft

Wales Mach Loop Dolgellau
Mach Loop – ein System von Tälern in der walisischen Gebirgsregion Snowdonia, das für Tiefflug-Trainings mit Militärflugzeugen genutzt wird. (Foto: Joseph Reeder)
Das Klischee, dass Wales das Land der Lieder ist, ist nicht komplett falsch, aber man kann durch Wales reisen und nie eine himmlische Stimme vernommen haben. Dennoch, wenn die Chöre von Wales – die oft mit Bergbau und industriellen Dörfern verbunden sind – singen, hört man entweder Stolz oder Traurigkeit.

Die beiden Gefühle gehen gemeinsam einher. Alte Volkssagen wie „Rhys und Meinir“ sind so traurig, dass man bis zum Ende der Ewigkeit weinen könnte. Es ist ein Land der Märchen, und die besten Märchen sind düster.

Das wahre Leben in Wales ist auch mal traurig, mit nationalen Katastrophen wie der von Aberfan im Jahr 1966, als eine der gefährlichen Schlackehalden um das Dorf auf eine Schule rutschte und viele Kinder lebendig unter sich begrub.

Auch traurig sind die Geschichten von „ertrunkenen“ Dörfern, die für Trinkwasser in England geflutet wurden, wie Capel Celyn. In vielen Fällen waren die Waliser an ihrer Traurigkeit nicht selbst schuld, sondern ihre mächtigen Nachbarn. Diese haben lange Schatten auf Wales geworfen.

2. Die Waliser sind mutig

Wales Rugby
Rugby. (Foto: Quino Al)
Rugby ist entweder ein Spiel der Dummheit oder des Mutes. Es hängt vom Betrachter ab. Zweifellos ist Rugby das Spiel von Wales, trotz des Erflogs auf dem Fußballfeld der Europameisterschaften 2016 und 2020.

Diese Riesenspieler stoßen gegen einander, kämpfen mit Blut und Herz im Matsch, brechen sich dabei die Knochen, und wofür? Das Spiel ist hässlich und schwer zu verstehen. Mann könnte leicht denken, dass seine Beliebtheit das Volk nicht nur mutig, sondern auch dumm mache. Mann muss aber auch an andere Geschichten denken, wie die Reise von Walisern nach Argentinien, um ein neues Leben zu beginnen.

1865 sind 153 Leute aus Wales ausgewandert, um die (dank des Englischen) gefährdete Sprache und Indentität des Volk zu schützen. 13.000 km in einem Schiff über hohe Wellen, damit ihre Sprache überlebt? Ist das nicht mutig? Jetzt gibt es 50.000 Leute mit walischer Herkunft in Argentinien.

Wenn man an Krieg denkt, sind die „Welsh Guards“ legendär für ihre Beharrlichkeit. Kurz gesagt, wenn man an Angst denkt, denkt man nicht an Wales.

3. Wohlstand statt Wachstum

Cardiff Wales
Menschen, nicht Unternehmen stehen im Fokus des Handelns. (Foto: Callum Blacoe)
Ähnlich wie in Schottland gibt es eine fortschrittliche Bewegung in der walisischen Politik, die die Interessen von Menschen zu schützen versucht, anstatt um jeden Preis das ständige Wachstum der Wirtschaft.

2015 wurde „The Well-being of Future Generations Act“ in Landesrecht umgesetzt. Das besagt, dass Unternehmen, die Regierung, alle offiziellen Stellen und jeder andere Mensch in verantwortlicher Position an die Zukunft denken müsse, und die Wirkung ihrer Entscheidungen zwischen dem Wohlstand einzelner und der Menschen in dem ganzen Land abwägen müssen. Echt gut. Das Ziel ist es, sich gegen Umweltfeindlichkeit zu wehren, Armut zu bekämpfen und die Gesundheit in der Gesellschaft zu fördnern. Sinnvoll, oder? Bravo, Wales, mach weiter so!

4. Kultur, die kein Ausländer versteht. Ohne viel Übung

Eisteddfod Wales
Kinder klettern auf dem Eisteddfod-Schriftzug. (Foto: Paul Sandham, CC BY-NC 2.0)
Was ist Eisteddfod? Sie werden es nie verstehen … außer Sie sind Waliser/in oder sprechen Walisisch. Das Eisteddfod findet in jedem normalen Jahr statt, ein riesiges Fest, das die ganze Kultur von Wales feiert.

Wettkämpfe zwischen Schriftstellern, Liederschreibern, Dichtern, Tänzern und mehr sind ein zentraler Teil der Veranstaltung, die 6.000 Teilnehmer und ein Publikum von 150.000 besuchen regelmäßig die Festspiele. Die Herkunft des Eisteddfod liegt laut Forschern im 12. Jahrhundert, – die Waliser müssen ihre Kultur und Sprache also seit 900 Jahren schützen. Die Walisischsprecher mussten bis 1993 warten, bis die britische Regierung die walisische Sprache mit Englisch gleichsetzte und ein Gesetz erließ, das Walisisch als schützenswert anerkannte.

Viele Kritiker und Gegner, oft englischen Ürsprungs, kämpfen leider gegen die Pflicht an Schulen, Walisisch zu lernen, – in diesem Sinne wird der Kampf für Waliser wahrscheinlich nie vorbei sein.

5. Offa’s Dyke bleibt vorerst

Offa's Dyke
Schild am Offa’s Dyke. (Foto: ricardo, CC BY 2.0)
Wir wollen keine Grenze mehr. Sie sind gefährlich und in keiner modernen Welt nötig. Aber Wales ist von England noch getrennt und das macht den Unterschied, wenn die Frage nach Nationalität und Identität zur Sprache kommt.

Sie könnten widersprechen: ja, aber man kann von England nach Wales einfach spazieren, wenn man durch Chester läuft. Und richtig widergesprochen, man kann von England nach Wales spazieren. Aber es heißt auch, dass es völlig legal sei, nach Mitternacht innerhalb der Stadtmauern von Chester mit einem Langbogen auf einen Waliser zu schießen.

Dennoch gibt es entlang der alten Grenze zwischen Wales und England den Offa’s Dyke, der nicht mehr als eine Rinne ist, aber vor großer symbolischer Kraft strotzt.

Laut Legende ist Offa’s Dyke nach Anforderungen von Königen im 8. Jahrhundert gebaut worden, aber die aktuelle Forschung besagt, dass die Römer etwas damit zu tun hatten. Egal, in modernen Zeiten kann man entlang der ganzen Strecke wandern, heute ist es ein gut erhaltener nationaler Wanderweg. Jedoch, wenn man dort einen Besuch abstattet, denkt man an die Geschichte und merkt, dass Wales aus vielen Gründen anders ist.

Rob Allen

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Über den Autor
Rob Allen ist ein freier Journalist und PR-Experte aus dem Norden Englands. Er schreibt u.a. für The Guardian, News of the World und Manchester Evening News. Nun schreibt er auch auf Deutsch für NORDISCH.info. – Auf Twitter unter @northernrob zu finden.

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