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Energie-Erpressung, aber keine militärischen Pläne

Durchgesickerte Dokumente enthüllen Russlands Pläne fürs Baltikum

Der Kreml hat eine Strategie ausgearbeitet, um seinen Einfluss in den baltischen Staaten auszuweiten. Die Dokumente konzentrieren sich auf wirtschaftliche und politische Hebel. Russland wollte vor allem eine Ausweitung des NATO-Einflusses in der Region vermeiden.

Putin, The Hague is waiting for you
„Putin, Den Haag wartet auf dich!“ Dieses Transparent prangt seit Monaten auf einem der Hochhäuser von Vilnius, der Hauptstadt Litauens. (Foto: William John Gauthier / CC BY-SA 2.0)
Die Rechercheabteilung des litauischen Fernsehsenders LRT hat geheime Dokumente erhalten, die Russlands ehrgeizige Pläne zur Beeinflussung der drei baltischen Länder – Litauen, Lettland und Estland – enthüllen.

Die Dokumente wurden vom Büro für interregionale und kulturelle Beziehungen erstellt, das direkt der Verwaltung des russischen Präsidenten Wladimir Putin untersteht. Ein internationales Journalistenteam hatte zuvor die Pläne derselben Kremlbehörde für Belarus und Moldawien veröffentlicht.

Im Sommer 2021 bereitete Russland eine Strategie vor, um seinen Einfluss in Estland, Lettland und Litauen zu erhöhen, berichtet die Tagesschau. Den durchgesickerten Dokumenten zufolge will Russland seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss in den baltischen Staaten ausbauen und damit die Erweiterung des NATO-Verteidigungsbündnisses im Baltikum verhindern.

Insbesondere will der Kreml die Einrichtung ständiger Stützpunkte der NATO-Verbündeten auf dem Gebiet der baltischen Staaten verhindern. Zu diesem Zweck führen prorussische Politiker eine Kampagne gegen die Ausweitung von Truppenübungsplätzen im Baltikum durch Desinformation, die über Propagandakanäle und soziale Medien verbreitet wird.

In allen drei Ländern unterstützt Moskau die prorussischen Kräfte gleichermaßen, doch im Falle Litauens wurde beispielsweise die Notwendigkeit hervorgehoben, die Beziehungen zwischen den dort lebenden russischen Landsleuten und ihrer ehemaligen Heimat zu stärken.

Für den Kreml sind prorussische Organisationen von zentraler Bedeutung, und Russland ist bestrebt, eine Reihe von Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen zur Förderung der Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation zu gründen. Den Dokumenten zufolge besteht das langfristige Ziel darin, die Beziehungen zwischen Russland und den baltischen Staaten „wiederherzustellen“. Keines der durchgesickerten Dokumente gibt einen Hinweis auf militärische Pläne gegen die baltischen Staaten.

Der Kreml will auch das russischsprachige Bildungssystem in den baltischen Staaten erhalten und den Abriss sowjetischer Denkmäler verhindern. Im Falle Litauens wolle er außerdem Geschäftsleuten die großen Chancen des russischen Marktes nahe bringen, berichtete der litauische öffentlich-rechtliche LRT.

Die Dokumente wurden zur gleichen Zeit erstellt, als Russland sich auf einen Krieg gegen die Ukraine vorbereitete. Geheimdienstmitarbeiter, die mit Journalisten sprachen, schätzten, dass die Verfasser der russischen Einflussstrategie möglicherweise keine Kenntnis von den Kriegsplänen des Kremls hatten. Daher gehen sie auch nicht auf die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine ein.

Russland wollte seine Energie als Druckmittel einsetzen

Einer der Einflusshebel, den Russland bei der Ausarbeitung der Dokumente sah, war der Einsatz von Erpressung auf dem Energiesektor. Russland hoffte, politischen Druck ausüben zu können, da die Stromnetze der drei baltischen Staaten weiterhin mit Russland verbunden sind. Zugleich wird die Abhängigkeit Estlands, Lettlands und Litauens von russischen Energielieferungen immer geringer.

Die Dokumente wurden Berichten zufolge von einer Denkfabrik innerhalb der russischen Präsidialverwaltung verfasst, deren Ziel es ist, Strategien zur Stärkung des russischen Einflusses zu entwickeln. Die Denkfabrik untersteht Dmitri Kosak, dem stellvertretenden Leiter der russischen Präsidialverwaltung und engen Vertrauten des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Der ehemalige Diplomat und derzeitige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sagte: „Es zeigt schon Putins Großmachtsfantasien, dass Moskau überhaupt den Versuch unternimmt, in diesem Umfang auf unabhängige Nationen Einfluss nehmen zu wollen.“

Ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter betonte indes, dass es bei der skizzierten Strategie nicht um den Sturz von Regierungen mit militärischer Gewalt gehe, sondern um die Sicherung des russischen Einflusses durch hybride Maßnahmen, die bisher wenig Wirkung gezeigt hätten.

Litauens Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė erklärte laut Tagesschau, das Kreml-Strategiepapier sei für sie „nicht überraschend“. Das Dokument hält sie für authentisch. Gleichzeitig betonte sie, dass das Land alles daran setze, von Russland unabhängig zu sein.

Mit Blick auf die Energie werde ihr Land „alles unternehmen, um so schnell wie möglich“ unabhängig von Russland zu werden.

Der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš betonte hingegen, dass Lettland seit seiner Unabhängigkeit mit dem russischen Interesse an der Ausweitung seines Einflusses zu kämpfen habe. „Auf internationaler Ebene ist Lettland bestrebt, Russland zu isolieren“, fügte Kariņš hinzu.

Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas sagte unterdessen, dass Estland seinen Nachbarn kenne und sie es als ihre Aufgabe ansehe, Estlands Wissen über die Arbeitsweise Russlands weiterzugeben.

Die russische Präsidialverwaltung wollte sich nicht zum Inhalt des Dokuments äußern.

An der Recherche waren neben WDR, NDR und SZ folgende Medien beteiligt: Delfi Estonia, Dossier Center, Expressen, Frontstory.pl, Kyiv Independent, LRT, Re:Baltica, VSquare, Yahoo News

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