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Lettland – Teil 6 der Radreise

Von Vaidava nach Riga – und zurück nach Stockholm und Malmö

Der sechste und letzte Teil der Serie, in der unser Autor, Jens Bemme, die Strecke des Radtourenbuches von Estland aus dem Jahre 1897 ausprobiert. Heute geht es mit dem Fahrrad nach Vaidava, Riga und schließlich über Stockholm nach Malmö.

Valmiera ist das Tor zum Nationalpark Gauja für alle, die von Norden nach Vaidava reisen. Wer den Fehler macht, die Stadt südwärts entlang der Bahnstrecke nach Riga zu verlassen, muss kurz vor Cēsis auf der anderen Seite zurück nach Norden, um die letzten Kilometer bis Vaidava doch noch auf Schotterstraße zu bewältigen.

Radtour Lettland
Auf dem Weg nach Vaidava. Hügelige Kulturlandschaft. (Foto Nordisch.info)

Kurzer Besuch: Am Sonntagabend liegt die Fabrik „Vaidava“ still. Das lokale product placement aber funktioniert gut: Vier Schüsseln der Töpferei stehen im Küchenregal des Zimmers, in dem ich übernachte; es gehört einer russischsprachigen Malerin. Hier bin ich richtig.
Sauna Lettland
Abendstimmung und Sauna. (Foto Jens Bemme)

Gegen zehn verlässt eine Volleyballmannschaft das Saunahaus am See. Dann ist es auch für die anderen Gäste frei. Es ist bereits dunkel, auf der meterhohen Steinsäule verdampft der nächste Aufguss. Nie zuvor habe ich einen Hut gebraucht (“Lächerlich!”), um den Kopf samt der Ohren in der Hitze zu schützen. Ich bereue kurz, dass ich in Pärnu den Filzhut mit Bienenmotiven nicht gekauft habe.
Düna Daugava
Am Düna-Fluss (Daugava). (Foto Nordisch.info)

Am Ziel: Vaidava

Miks, der Geschäftsführer der Töpferei in Vaidava, führt mich kurz durch seine Fabrik. Angeregt von der Lehmverarbeitung in der Gegend gründete ein „junger aufstrebender Mann“ in den 80er Jahren diese Töpferei in Vaidava – Miks‘ Vater.

VAIDAVA sei noch immer inhabergeführt und ein Familienunternehmen. Das Design wurde in den vergangenen Jahren ausgegliedert. Externe Gestalter prägen die neuen Produktlinien. Die jüngste Kollektion „Eclipse“ gehörte 2018 zu den Finalisten beim National Design Award of Latvia. Nun soll die Kooperation mit der Technischen Universität in Riga helfen, technologisch noch weiter zu kommen.

„Der lettische Markt ist für uns zu klein“, sagt Miks, als wir kurz über seine Handelsvertretungen in Deutschland und Polen reden. Ich kaufe meine Müslischüsseln und ein paar schwarze Teller aus Zweiter Wahl. Sie kommen wohlbehalten zu Hause an, auch mit Hilfe der Eisenbahn, die mich tags darauf von Valmiera nach Riga bringt. Kein ICE, aber WiFi ist selbstverständlich.

Hallo, Riga

Riga von oben
Riga von oben. (Foto Jens Bemme)

Riga ist zu 99,7 Prozent ausgebucht. Ein großer Wettkampf der Orientierungsläufer schlängelt sich durch die Altstadt. Mich überfordert diese Hauptstadt erwartungsgemäß nach den Tagen auf estnischen und lettischen Landstraße. Zuflucht bietet mir die Lettische Nationalbibliothek am anderen Ufer der Daugava. Spontaner Blick in den Bibliothekskatalog: Für den Begriff „Radf*“ zeigt die Suche den „Baltischen Radfahrer-Kalender für das Jahr 1897“. Ein Volltreffer. Den Begriff Radfahrer-Kalender kannte ich noch nicht.

Dieses Jahrbuch enthält die Vereinsadressen, Radfahrordnungen, über 80 Tourenbeschreibungen und Werbung für die Radfahrer der Ostseeprovinzen – eine passende Ergänzung zum Tourenbuch von Estland aus demselben Jahr. Selbst Arensburg auf Oesel, heute: Kuresaare auf Saaremaa, ist in zwei Touren genannt. Die Frage, ob die estnischen Inseln auf der digitalisierten Orientierungskarte zum Tourenbuch fehlten, weil sie für Radfahrer noch keine Ziele boten, ist damit beantwortet. Muhu und Saaremaa waren schon 1897 radtouristisch relevant – zumindest aus Rigaer Sicht. Im August 2018 wurde der Baltische Radfahrer-Kalender in Riga digitalisiert und in die Wikimedia-Commons geladen.

Die Rückfahrt geht spontan entschlossen mit der nächsten Fähre nach Stockholm, denn Liepaja ist mit dem Zug von Riga offenbar nur freitags zu erreichen. Tickets gibt’s ab 9 Uhr – noch viel Zeit bis wir um 17 Uhr ablegen.

Russische oder sowjetische Werbung
„Kino“ – Russische oder sowjetische Werbung blättert von den Wänden ab. (Foto Jens Bemme)

Riga entschädigt mich schließlich noch für die Überforderungen der Großstadt am Vortag: Vom Fährterminal rolle ich durchs Botschaftsviertel zum Hafen und dann entlang der großen Brauerei. Russische oder sowjetische Werbung blättert, hängt oder schimmert dort in mehreren Schichten an Giebelwänden der Wohnhäuser. Diese Spuren müsste man systematischer erkunden! Ein Gedanke auf Rädern: Solche Stadtrandforschung in Riga ist eine Variante von Fernwehforschung in Estland. Diese äußeren Viertel von Riga sind es wert, besucht zu werden: lettische Bistrokultur, Architekturen, breite Fahrradwege – es radelt sich gut dort am Sonntag.
Angler in Riga
Angler in Riga. (Foto Nordisch.info)

Vorbei am großen Friedhof Rigas, an Plattenbauten, Einkaufszentren und durch legendäre Jugendstilviertel streife ich doch noch zufällig die Markthallen von Riga. Und: Überraschung! Sie sind am Sonntag geöffnet. Diese Markthallen waren schon vor vier Jahren in Liepaja und Ventspils ein Genuss. Der Rigaer Markt ist noch eine Reise wert: lettische Handelswege kreuzen sich hier seit langem. Ein paar frisch gezapfte Kwas später verlasse ich den Markt mit zwei edlen Würsten und einem großen Glas Buchweizenhonig. Geplant war das alles nicht, aber gut.
Sommerurlaub Lettland
Lettland, ein schönes Ziel für einen Sommerurlaub. (Foto Nordisch.info)

Hej, Stockholm und Malmö

Stockholm: Das Rad rollt einen Tag lang mit mir durch die vierte europäische Hauptstadt in diesem Sommer. Dann bringt uns ein Nachtbus nach Malmö, zum dortigen Form Design Center und die großartige Kleine Eisfabrik neben der Malmöer Jugendherberge. Fahrräder seien in der Schwedischen Eisenbahn auf Fernstrecken nicht erlaubt, lerne ich von einem schwedischen Zimmermann noch vor dem Einschiffen im Hafen von Riga. Und die nächste Fähre zwischen Nynäshamn und Danzig ist bereits voll als wir in Stockholm einlaufen. Sei es drum! Am Freitag will ich schon wieder in Dresden sein.

Das hat geklappt. Im Rückblick – wie an jedem dieser Tage unterwegs – ging letztlich alles gut. Begegnungen machen das Reisen aus; dank Ebooks on Demand und der Nationalbibliothek in Tallinn – von Bierbude zu Bierbude durch Estland, dank Mesi-Schild beim Imker auf Saaremaa; mit zwei Rädern durch die Ostseeprovinzen: I like the European Union.

Ende

Siehe auch:

Jens Bemme

Über den Autor
Jens Bemme aus Dresden forscht und twittert zu historischem Radfahrerwissen um 1900. Er studierte Verkehrswirtschaft und arbeitet im Bereich Landeskunde und Citizen Science der SLUB Dresden. Das Tourenbuch von Estland führte ihn im Sommer 2018 mit Umwegen von Tallinn nach Riga. // twitter.com/jeb_140 // jensbemme.de

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