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Estnischer Ärzteverband: Der Regierung ist die Volksgesundheit egal

Lettland und Estland unterbieten sich bei der Alkoholsteuer

Estland hat in den vergangenen Jahren die Alkoholsteuer stufenweise erhöht. Die Folgen waren mindestens dreifältig. Der kurzfristige Effekt davon war, dass weniger Alkohol-Touristen aus Finnland nach Estland kamen.

Alkoholsteuer Estland
(Symbolbild)

Die kurz- bis mittelfristige Folge war, dass Lettland nun sowohl von den finnischen als auch estnischen Alkohol-Touristen profitierte. Insbesondere die Supermärkte entlang der lettisch-estnischen Grenze verzeichneten Umsatzsteigerungen – die neuen Kunden haben nicht nur Alkohol, sondern, wenn sie schon da waren, gleich auch Lebensmittel eingekauft. Die Umsatzsteigerungen waren so signifikant, dass die lettischen Märkte anfingen, in Lagerflächen zu investieren.

Die langfristige, durchaus positive, Auswirkung zeigt sich aber inzwischen ebenfalls. Laut einer Studie mit dem Titel „Estonia’s alcohol market, consumption and policy in 2018“, sank der Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol in Estland auf ein 10-Jahres-Tief.

Diese wurde vom Ministerium für Soziales in Auftrag gegeben und vom Estnischen Institut für Wirtschaftsforschung (Eesti Konjunktuuriinstituut) durchgeführt. Im vergangenen Jahr verbrauchte ein erwachsener Mensch in Estland durchschnittlich 10,1 Liter Alkohol, ein Rückgang um 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das teilte am Montag ein Sprecher des Sozialministeriums der Nachrichtenagentur BNS mit.

Die Sache mit der Volksgesundheit und den rechten Parteien

Die Wissenschaft ist sich darüber einig, dass Alkoholgenuss kurz- und langfristige negative Auswirkungen auf die Gesundheit eines Menschen hat. Der Verband der Ärzte und Heilberufler in Estland hat am Dienstag eine Stellungnahme veröffentlicht, aus der hervorgeht, wie der Ärzteverband Aspekte der Arbeit der neuen Regierung bewertet.

Mit der Senkung der Alkoholsteuer, sende sie das unmissverständliche Signal, dass ihr die Volksgesundheit egal sei.

„Die Verantwortung für den Tod von Menschen, für die Verschlechterung der Bevölkerungsgesundheit und den Anstieg der Kosten im Gesundheitswesen wird auf diejenigen Politiker zurückfallen, die diese Entscheidung getroffen haben.“, sagte der Präsident des Ärzteverbandes, Jaan Sutt.

Seit vergangenem April verfügt Estland über eine neue Regierung, an der sich die faschistoide Estnische Konservative Volkspartei (EKRE) beteiligt. Obwohl Jüri Ratas, Ministerpräsident und Vorsitzender der Estnischen Zentrumspartei, vor den Wahlen im März eine Koalition mit der extremen Rechten unbedingt ausgeschlossen hatte, änderte er seine Meinung, nachdem die Liberalen in Estland den Wahlsieg davon getragen haben und seine Partei lediglich als zweitstärkste daraus hervorging.

Mit diesem Tabubruch – die demokratischen Parteien in Estland waren sich darin einig, EKRE nicht an der Regierung beteiligen zu wollen – tun sich Parallelen zwischen dem österreichischen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Jüri Ratas auf. Das Motto der beiden dürfte „Macht geht vor Moral“ sein. (Lesen Sie dazu einen hervorragenden Kommentar von Sten Hankewitz auf estonianworld.com.)

Anfang der Woche verkündete Ratas, die dreiteilige Koalition der Mitte-Rechts-Regierung habe sich auf den Haushalt 2020-2023 geeinigt. Daraus geht unter anderem hervor, dass nicht nur die Alkoholsteuer um 25 Prozent gesenkt werde, sondern auch die geplante 10-prozentige Anhebung der Tabaksteuer durch eine stufenweise Anhebung dieser Steuer um 5 Prozent über die nächsten 4 Jahre ersetzt wird.

Zugleich wird deutlich, dass Ratas und die Regierung ihr Versprechen gebrochen haben, die Forschungs- und Bildungsausgaben von 0,71 Prozent des Haushaltes auf 1 Prozent anzuheben. Das Einfrieren der Ausgaben für die Forschung bei 0,71 Prozent verkauft Ratas als „Stabilität“ in der Forschung.

Die Universitätsrektoren in Estland befürchten den Verlust der Konkurrenzfähigkeit der estnischen Forschungseinrichtungen. Sie beriefen am gestrigen Dienstag eine Krisensitzung ein, wie die Nachrichtenwebsite ERR berichtet. Heute wurde bekannt, dass die akademischen Gewerkschaften in Estland zu einem Warnstreik am 5. Juli aufrufen.

Lettland möchte die Umsatzsteigerung ihrer Supermärkte durch Alkoholtourismus nicht kampflos aufgeben

Lettland reagierte seinerseits am Montag auf die Ankündigung des estnischen Parlaments (Riigekogu), die Alkoholsteuer zu senken. Politiker des lettischen Parlaments (Saeima) kündigten an, dass sie ihrerseits einen Gesetzesvorschlag vorlegen werden, wonach die lettische Alkoholsteuer gesenkt werden solle.

Der lettische Finanzminister, Jānis Reirs (von der liberal-konservativen Partei Neue Einigkeit), sagte dazu: „Es ist wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit auf regionaler Ebene zu erhalten, deshalb sehe ich kein Problem darin, die Alkoholsteuer zu senken.“ Es ist noch unklar, von welchen Prozentsätzen dabei die Rede ist.

Die Senkung der Alkoholsteuer um 25 Prozent in Estland soll am 1. Juli in Kraft treten. Reirs‘ Aussage zufolge, könnte die lettische Senkung ebenfalls noch in diesem Jahr erfolgen, abhängig davon, wie schnell sich die Koaliton, bestehend aus vier Parteien, einigen kann.

Der politische Kommentator aus Estland, Mikk Kasesalk, fragt sich inzwischen: „Ist billiger Wodka Estlands Treiber für die Zukunft?“.

In einem klugen Kommentar konstatiert er: „Anstatt die Leute mit billigem Wodka, kostenlosem Zeug und billigen Versprechen zu verführen, im Austausch gegen ihre Stimme bei den Wahlen, sollte sich die Regierung lieber darum kümmern, ein zukunftsorientiertes Umfeld zu etablieren, in dem die nächsten Generationen mit der Prämisse aufwachsen, dass sich Einsatz und Hingabe lohnen. Und in der es genügend Freiheiten und Möglichkeiten für die Schlauen gibt, um Werte für sich und die Gesellschaft zu schaffen.“

ap

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