Facebooktwitterpinterestrssinstagram

Geschäftsruin oder gutes Marketing?

Manchester: Witziger Kommentar bei TripAdvisor löst Shitstorm aus

Exklusives Interview: Der Inhaber eines französischen Restaurants in Manchester hat mit einer Antwort auf eine TripAdvisor-Bewertung eines Gastes fast einen nationalen Skandal verursacht. Hat die folgende Empörungswelle dem Restaurant „Man Bites Frog“ wirtschaftlich geschadet? Was waren die Folgen für den Restaurantbesitzer?

Restaurantbesitzer Dave Cleall-Hill
Dave Cleall-Hill, Inhaber von „Man Bites Frog“ (Foto Rob Allen)

ERSTAUNLICHE REAKTION EINES GASTRONOMEN AUF EINE TRIPADVISOR-BEWERTUNG, NACHDEM EINE KELLNERIN EINEN UNZUFRIEDENEN GAST ALS KAHLKOPF BESCHIMPFT

Das schreibt die englische Zeitung Daily Mirror am 13. September 2017, ähnlich wie andere Zeitungen, in denen es um den Vorfall in einem kleinen Restaurant in Manchester ging. Unter anderem haben Zeitungen wie die Daily Mail und Manchester Evening News großes Interesse an diesem ungewöhnlichen Beispiel digitaler Kundenempfehlung demonstriert. Auslöser des medialen Sturms war der schlagfertige Gastronom Dave Cleall-Hill.

Ein Phänomen der heutigen Zeit sind die Reaktionen auf negative Bewertungen von Service, Qualität und Personal direkt durch den Geschäftsinhaber. Von zweifellos unhöflich bis humorvoll, Webseiten wie TripAdvisor und Yelp! bieten unzufriedenen Kunden und Unternehmern eine Plattform, auf der sie miteinander streiten können. Aber wenn die Situation aus dem Ruder läuft, bereut man schnell, dass man sich darauf eingelassen hat.

„Im Grunde bin ich immer enttäuscht, wenn ein Kunde einfach ins Internet geht, um sich über unser Restaurant zu beklagen, anstatt zuerst mit mir zu sprechen,” sagt Cleall-Hill, einen Monat nach seinem eigenen Shitstorm. „Was hier passiert ist, war ein Missverständnis. Aus welchem Grund sich der Gast dazu entschloss, diese Beschwerde zu schreiben, weiß ich nicht. Am Morgen las ich seinen Beitrag und wusste sofort, dass ich ihn irgendwie kommentieren musste. Ich habe nachgedacht, mich geduscht und mich dann an meinen Laptop gesetzt. Die richtigen Worte fielen mir ziemlich schnell ein.”

In dem ursprünglichen Beitrag ging es um eine Beschwerde über eine Beleidigung, die per Lautsprecher verkündet worden war. Angeblich empfanden der Gast und seine Kumpel die Bar als lebhaft und laut. Cleall-Hill und seine Kollegen feierten gerade den Abschied eines Mitarbeiters.

Trotzdem haben die Gäste Getränke bestellt, leise getrunken und letztlich entschieden sie sich, ohne Eile zu gehen.

„Aus Spaß schrie meine Kollegin in das Megaphon: Geh mal raus, du mit dem Kahlkopf, wenn du es nicht verkraften kannst!” erzählt Cleall-Hill, “Sie hatte das Megaphon in der Hand, weil sie ein Gedicht für unseren scheidenden Kollegen aufsagen wollte. Damals war es mir klar, dass die Gruppe es als einen Witz verstanden hatte. Es wurde nichts mehr gesagt.”

Mit der Überschrift „EKELHAFT!“ hatte der Gast das Benehmen der Feiernden und den Witz kommentiert. Die Ein-Sterne-Bewertung teilte dem Gastronom mit: “Ich würde jedermann raten, hier nicht mehr hinzukommen, auf Grund der dortigen Behandlung von Kunden.”

In einer ausführlichen 650-Worte-Antwort hat Cleall-Hill über die Erfahrungen seines eigenen kahlköpfigen Vaters, die „Frechheit“ des Personals in seinem Restaurant und die Sensationsgeilheit im Internet geschrieben.

Cleall-Hill schrieb: „Ich habe die Bänder der Überwachungskameras geprüft und bin nicht davon überzeugt, dass Larry David Ihren Freund als ein Mitglied im Klub der Kahlköpfigen bezeichnen würde.” Man kann es als sarkastisch bezeichnen, aber auch echt unhöflich? Vielleicht sogar das. Was nun geschah, hatte niemand erwartet.

Kurz danach rief die Lokalzeitung „Manchester Evening News“ an, deren Journalisten über die Antwort gestolpert waren.

“Ich redete lange mit einer freundlichen Journalistin, jedoch kam ich bald zu der Einsicht, dass ich meinem Kommentar nichts mehr hinzuzufügen hatte,” sagt Cleall-Hill, „Es war der Redakteurin egal. Sie hat die Zitate kopiert und trotzdem einen Artikel veröffentlicht.“

Dann kam die Empörungswelle

Postkarte als Reaktion auf TripAdviser
Cleall-Hill beweist Humor. (Foto Rob Allen)

Es ist üblich in England, dass lokale Zeitungsberichte, die von nationalem Interesse sind, in überregionalen Zeitungen mit großer Auflage und auf den begleitenden Webseiten erscheinen. Offenbar war der Vorfall von nationalem Interesse. Daily Mail, The Sun und Daily Mirror folgten Manchester Evening News mit ihren eigenen Artikeln, das Handy von Cleall-Hill klingelte noch mehrmals.

“Es war verrückt und unangenehm,” sagte Cleall-Hill, “mehrere Meinungen von Unbekannten zu lesen. Leider las ich Kommentare von Lesern, die davon ausgingen, dass ich ein „Hipster“ sei und so weiter. Ich bekam Anrufe von anderen Medien, die meine Geschichte veröffentlichen wollten, aber ich hatte kein Interesse daran. In meinem Restaurant arbeiten wir fleißig, um eine außergewöhnliche und freundliche Atmosphäre zu schaffen. Damit so ein Geschäft erfolgreich läuft, bedarf es einer 60 – 70-Stunden-Arbeitswoche. Deshalb sind diese Leserkommentare manchmal schmerzhaft.”

Abgesehen von der persönlichen Reaktion, was sind eigentlich die Auswirkungen der „TripAdvisor-Krise“? Hat das Missverständnis einen Einkommensverlust verursacht? Wurden die Peinlichkeiten zu viel für die Mitarbeiter, sodass sie gekündigt haben? Sind die Tische in der Bar jetzt leer?

“Ein paar Leute haben ihre Bewerbungsschreiben bei uns eingereicht! In Folge des blöden Vorfalls wollen mehr Menschen hier arbeiten,” sagt Cleall-Hill.

“Tatsächlich bemerke ich, dass es mehr Ein-Sterne-Bewertungen auf Google, TripAdvisor usw. gibt. Menschen haben uns bewertet, obwohl sie hier niemals getrunken oder gegessen haben. Offensichtlich ist das enttäuschend, aber die Stammkunden haben den Vorfall fast nie erwähnt. Wie immer kommen sie zu uns, um gutes Essen zu genießen, die besten Biere und Weine zu trinken, und wir sind immer dankbar, dass sie ihr Geld bei uns ausgeben. Es ist mir peinlich und es langweilt mich über diesen Zwischenfall zu sprechen. Es ist vorbei.”

Da haben wir es! Das Beispiel von „Man Bites Frog“ zeigt, dass die Wichtigkeit sozialer Medien und ihr direkter Einfluss auf das Verhältnis zwischen Kunden und Geschäft möglicherweise überbewertet wird. Es ist jedenfalls nicht immer alles verloren, wenn ein Shitstorm über ein Unternehmen hereinbricht.

Rob Allen

Über den Autor
Rob Allen ist ein freier Journalist und PR-Experte aus dem Norden Englands. Er schreibt u.a. für The Guardian, News of the World und Manchester Evening News. Nun schreibt er auch auf Deutsch für NORDISCH.info. – Auf Twitter unter @northernrob zu finden.

Sie wollen diesen Beitrag teilen?

Facebooktwitterredditpinterestmail
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest

0 Comments
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen