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Ein schottisches Leben

Zucker im Whisky: Die Geschichte eines Schottischen Lebemanns

1942 wurde in Liverpool das Haus und Hab und Gut meiner Oma zerbombt. Alles war weg. Liverpool stand noch, aber darin nichts mehr. Die Familie floh daraufhin nach Schottland, West Wemyss, um sich in Sicherheit zu bringen.

Zerstörtes Liverpool, 1942
Zerstörtes Liverpool nach sog. Liverpool Blitz, 1942
(Foto Ministry of Information Photo Division, UK)

Zu der Zeit suchten viele Engländer Schutz in Schottland. Mit Blick auf die britische Geschichte, könnte man es Ironie des Schicksals nennen, dass ausgerechnet Schottland den Engländern Schutz gewährte. Wir wollen heute aber nicht von der Rivalität der beiden Nationen sprechen, lediglich darauf hinweisen, dass uns Schotten eine heitere Genugtuung ist, dass der Engländer diesmal in Demut unser Land betrat.

Wie dem auch sei, samt Silberbesteck und Nerzmäntel flüchtete meine Familie gen Norden. Es war ein Glück für die Salmonds, dass sie in der Nähe von Kirkcaldy strandete, einer Küstenstadt, die tüchtigen Flüchtlingen ein Auskommen ermöglichte.

Mein Urgroßvater leistete sich eine Schubkarre und etablierte sich mit seinem Krämerladen. Vielleicht verkaufte er das Silberbesteck dafür, aber letztendlich fanden sie alle Frieden.

Mein Opa hingegen, gebürtiger Schotte aus Kirkcaldy, mit dem nicht unbekannten Nachnamen Kelly, wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Vergleichbar vielleicht mit der heutigen oberen Mittelschicht. Obwohl es damals ja gar keine Mittelschicht gab.

Opa William in jungen Jahren bei einer Kissenschlacht
Für jeden Spaß zu haben: Opa William in jungen Jahren bei einer etwas anderen Kissenschlacht.

Opa sagte immer, „In sozialen Schichten gesehen, ist Großbritannien wie eine Birne und Deutschland ein Apfel.“ Das ist aber lange her und heute könnte man vielleicht auch goldumrandetes Dörrobst zum Vergleich nehmen oder einfach nur Brei. Verständlicher wird Opas Äpfel-Birnen-Vergleich dadurch nicht.

Der Familie Kelly ging es gut, und mein Opa William und sein Bruder Kenneth, zwei unglaublich gutaussehende Akademiker-Burschen, waren im Saft ihres Lebens.

Ihr kennt diese Menschen auch. Die, die so gut aussehen und alles können und beliebt sind und einfach in allem glänzen. Die, die man immer mit Augenrollen ansieht, während man vor Neid sabbert.

So müsst Ihr euch meinen Opa William vorstellen: Pianist, Maler, Zahnarzt mit goldener Auszeichnung, schottischer Kunsteisläufer 1948, Schottischer Wasserski Champion 1952. All das war mein Opa. Er war natürlich noch viel mehr. Abgesehen von seiner Wärme, seiner Güte und seinem Humor, war er ja auch Schotte.

William Kelly, Pianist
William Kelly in seiner Rolle als Pianist.

Tatsächlich war mein Opa der unpatriotischste Schotte, den ich kenne. Er konnte mit Politik und all dem, was in seiner Heimat oder in der Welt los war, nichts anfangen. Mit Partys konnte er jedoch sehr wohl etwas anfangen.

Das traf sich gut, denn meine englische Oma Jean und ihre Schwester Heather konnten wiederum mit solchen Jungs viel anfangen. So begann ein Riesenkuddelmuddel.

William ging zuerst mit Heather aus und Kenneth mit meiner Oma Jean. Was auch immer die sich dabei dachten und was da auch immer passiert ist, es sei ihnen gegönnt, aber irgendwann kamen zum Glück mein Opa und meine Oma zusammen. Heather heiratete einen Campingplatz-Besitzer in Comrie, Perthshire, – das hört sich genau so fad‘ an wie es für meine Großtante war.

Hochzeit von William und Jean
„Die Glorreichen Vier“ – Hochzeit von William und Jean. Auch dabei Kenneth und Heather.

Kenneth heiratete Elizabeth, die Tochter eines Destillateurs, die leider überaus früh alkoholkrank wurde und irgendwann in den 70ern für mehrere Monate ins Kloster ging, um sich reinkarnieren zu lassen. Die gute Frau. Sie raucht heute immer noch wie ein Kamin aber seit dem Klosteraufenthalt clean wie ein schottischer Lachsfluss. Großartige Persönlichkeit, schade dass Ihr sie nicht kennt. Sie hat ’ne Stimme wie ein Tanklaster kurz vorm Absterben. Das erste Mal, als meine Kinder sie lachen hörten, fingen sie an zu weinen.

Und so, während meine Großtante und mein Großonkel ihre Schicksale selber in die Hand nahmen, feierten mein Opa und seine Jean Kelly ihr Leben.

Meine Großeltern gaben dekadente Partys. Man rechnete eine Flasche pro Kopf. Jetzt meint einer von euch vielleicht eine Flasche Wein. Nein, nein … eine Flasche Whisky wurde da pro Kopf gerechnet.

Und wisst Ihr, was die dann nach den Partys gemacht haben? Die sind in ihre Autos gestiegen und sind nachhause gefahren. Ja, ich war auch ganz verdutzt. Rauchen und Saufen galt als äußerst zivilisiert. Speziell als Akademiker und Entertainer.

Mein Opa war am Klavier, meine Oma nahm, dann und wann, ein Tablett mit Drinks in die Hand, um alle adäquat und stilvoll abzufüllen. Wenn es besonders lustig werden sollte, gab man noch einen Würfel Zucker hinzu, bevor man das Glas mit Whisky füllte.

William und Jean Kelly, Kirkcaldy
William und Jean Kelly, das Duo Infernale des Partylebens in Kirkcaldy.

Und dieser Akt, dieser eine verkommene Akt, einen Zuckerwürfel in den Whisky zu geben, ist das Anarchistischste, was ein Schotte tun kann. Welch Schande über unsere Familie! Aber die Partys waren gut und die Drinks knallten. Es gab Spiele und Witze und Hausmädchen, die alles sauber machten.

Meine Mutter und meine Tante kamen als Kinder nie in den Genuss wie es ist, wenn Mutter einen in der Früh weckt und dabei hilft, sich anzuziehen, um anschließend das Frühstück vorzubereiten. Dafür gab es Hausmädchen.

Die Töchter grüßten und verabschiedeten sich von ihrer Mutter am Morgen. Während sie im Bett ihr Frühstück einnahm, um sich anschließend für den auswärtigen Lunch vorzubereiten. Dann kam sie wieder nach Hause, um sich für den Afternoon Tea umzuziehen. Busy busy eben.

Meine Mutter kam mit 8 Jahren ins Internat. Sie war nur in den Ferien zuhause. Es war wohl die Zeit, in der Kinder so wenig wie möglich gesehen werden durften, und definitiv niemals gehört. Diese gesellschaftlich auferlegte Tatsache prägte meine Mutter sehr.

So wie heute auch, gehen „wohlhabende“ Kinder in Privatschulen. Es gibt Privatschulen wie Sand am Meer. Man sagt, „Für eine bessere Zukunft der Kinder.“ Ich war auch auf einer Privatschule. Meine Zukunft ist dadurch sicherlich nicht beeinflusst worden, außer dass ich Privatschulen ziemlich armselig finde. Die Zukunft meiner Mutter auch nicht.

Bei meiner Tante hat es vermutlich angeschlagen, das System, aber ob es ihr „besser“ geht? Ich kann es nicht genau sagen. Ich habe das Konzept davon immer noch nicht ganz verstanden, zumal es erfolgreiche Menschen aus den öffentlichen Schulen gab und gibt und immer geben wird.

Eheleute Kelly William Kelly als Maler Kellys, party people

Wie dem auch sei, Highlife in meiner Familie. Ein Haus in the New Town. Mit Schachbrett-Marmorboden im Eingangsbereich und breite Wendeltreppe nach oben und ein dicker Kronleuchter. Ein Wochenendhaus auf dem Land an der Küste von East Lothian und ein Ferienhaus auf Mallorca, Boot und Kristallgläser.

Das Wochenendhaus auf dem Land wurde irgendwann zu dem Haus von meiner Mama und mir als wir in Schottland lebten. Als wir auszogen, wurde es verkauft. Das Ferienhaus so wie das Boot und das New Town Haus auch. Das alles in einem Zeitraum von ca. 20 Jahren. Lebemänner schauen nicht aufs Geld. Lebemänner leben, und investieren nur ins akute Leben.

Ein zähneknirschender Funfact: Das New Town-Haus verkaufte mein Opa in den späten 70ern für 80.000 Pfund. Irgendwann, ich glaube es muss 2002 gewesen sein, mein Opa saß in seinem Sessel, rauchte seine Benson & Hedges und las Zeitung, auf einmal schrie er „Jesus fucking Christ!“ und er entdeckte eine Verkaufsannonce für sein Haus im New Town – aufgerufener Preis: über 4 Millionen Pfund. Ich glaube, davon erholte er sich nie nie wieder.

In Schottland groß zu werden, hat mir viel Freude bereitet. Wir lebten auf dem Land, am Meer, und ich durfte immer nach Hause kommen. Das Dorf, in dem wir wohnten, war so klein, dass ein Gartenhäuschen als Poststelle galt, und es außerdem eine Straße und eine Kunstgalerie gab.

Autorin Nicola mit ihren Großeltern
Die Autorin Nicola mit ihren Großeltern.

An jedem Wochentag fuhr ein Händlerwagen vor und verkaufte Waren. Montags der Obst- und Gemüsewagen, Dienstags der Fleischer, Mittwoch der Fischwagen usw. Der Obst- und Gemüse-Mann verkaufte kandierte Äpfel, und weil der immer da anhielt, wo wir spielten, waren die auch sofort ausverkauft. Solche Zuckeräpfel habe ich nie wieder gegessen.

In der Früh wurde die Milch geliefert und an dem Alufoliendeckel war so ein sahniger Rand. Den durfte ich immer ablecken, bis ich mir irgendwann damit die Zunge aufschlitzte. Es war unglaublich schön und frei, dort aufzuwachsen. Das war auch die einzige Zeit in Schottland, in der ich nicht auf eine Privatschule ging, weil die Mutter es sich nicht leisten konnte. Da ging’s mir am Besten. Meiner Mutter glaub ich auch.

Mitte der 80er sind wir dann nach Edinburgh gezogen, wegen der Arbeit. Ich bekam eine grüne Schuluniform und eine blaue Krawatte. Ich sah aus wie eine Klofliege. Meine Mutter, meine Tante und meine Cousine sahen alle irgendwann aus wie Klofliegen, denn wir besuchten natürlich alle die selbe Schule und waren alle Champions in irgendetwas. Meine Mutter im Fechten, Meine Tante im Chor, ich im Tennis und meine Cousine im Feldhockey. Jetzt sind wir alle nur noch Champions der Herzen und des guten Geschmacks.

Oma Jean, 94, lebt nun demenzkrank in einem Heim und wartet darauf, ihrem William, Wasserski fahrend im Nerzmantel Drinks zu servieren. Und wir, wir leben weiter ohne Kronleuchter, aber schmuggeln immer mal wieder ’nen Zuckerwürfel in die Drinks, weil wir wissen, wie ’ne gute Party geht.

Nicola

Über die Autorin
Nicola, aufgewachsen in Edinburgh und München, studierte Schottische Geschichte und arbeitete bei The Witchery Tours als offizielle Geschichtenerzählerin und Erschreckerin (als erste und einzige Frau), wo sie viele Touristen in Angst und schreckliches Vergnügen versetzte.

Ihre Familie ist weiterhin in Edinburgh und erschrickt sich nicht mehr.

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