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Finnland übernimmt Vorsitz im Arktischen Rat

Der Poker um die Arktis: Das Rufen gegen den Wind

Nirgends ist der Klimawandel so deutlich spürbar wie in der Arktis. Das Gebiet um den Nordpol erwärmt sich zweimal schneller als der Rest der Welt. Die Meereisdecke schrumpft dramatisch. Mit unabschätzbaren Folgen nicht nur für die Arktis, sondern für uns alle. Gleichzeitig weckt das Abschmelzen der Gletscher neue Begehrlichkeiten. Der Druck auf die Bodenschätze wächst. Themen, mit denen sich der Arktische Rat intensiver denn je befassen muss. Und Finnland im besonderen: Jetzt übernimmt es den Vorsitz vom Vorgänger USA.

Arktische Gefahren
Mit dem rekordverdächtigen Rückgang des arktischen Eises hat ein Wettlauf um Ressourcen, Macht und Chancen begonnen. Es lässt den Meeresspiegel womöglich schneller als erwartet ansteigen, verheißt aber auch neue Handelsrouten zwischen Asien und Europa. Die Nordostpassage, bisher nur im Sommer kurzzeitig befahrbar, könnte zur ganzjährigen Route für den internationalen Warenverkehr werden.

Abschmelzen der Arktis
Das Abschmelzen der Arktis in den Jahren 2004 bis 2013.

Russland und andere Anrainerländer wittern Morgenluft und wollen sich die reichen Vorkommen an Öl und Gas sichern, die um den Nordpol herum vermutet werden. Moskau baut bereits seine Militärpräsenz im Polarmeer aus. Aber auch der kommerzielle Fischfang und die Industrie wittern neue Erschließungsgebiete.

Finnland als Initiator und Vorreiter
Schon 1989 startete Finnland einen ersten Anlauf, eine organisierte Zusammenarbeit zum Schutz der arktischen Umwelt ins Leben zu rufen. Diese Initiative führte zum ersten Ministertreffen der arktischen Länder in Rovaniemi zwei Jahre später. Eine historische Konferenz und Initialzündung für eine dauerhafte Zusammenarbeit, die heute als „Rovaniemi-Prozess“ bezeichnet wird. Der Arktische Rat folgte 1996 und dient bis heute als hochrangiges Forum für die arktischen Mitgliedsstaaten, mit den Schwerpunkten Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung. (Siehe Infokasten) Kooperation war bisher das Zauberwort.

Zahnloser Tiger
Klimawandel, Bodenschätze, Tourismus, Verkehr – Viel zu tun für den Rat, doch Druck ausüben kann er nicht. Ein zahnloser Tiger, sagen Kritiker.

Timo Koivurova, Direktor Arktisches Zentrum, Rovaniemi
Timo Koivurova, Direktor des Arktischen Zentrums in Rovaniemi

„Der Rat ist ein Politikgestalter. Er stellt Informationen zur Verfügung. Entschieden wird woanders,“ sagt Timo Koivurova, Direktor des Arktischen Zentrums in Rovaniemi, das den Klimawandel und seine Folgen untersucht. „Der Rat kann zwar nichts beschließen, ist aber dennoch wichtig. Arktische Probleme werden weltweit eher wahrgenommen.“ Die bisherigen Abkommen hätten den Rat als Institution und in seiner Bedeutung aufgewertet. Doch die große Ungewissheit sind die neuen global players, allen voran der amerikanische Präsident Donald Trump. „Vor Trump war alles klar. Jetzt wissen wir wirklich nicht, wie es laufen wird,“ so Koivurova.

Finnlands Pläne
Es gleicht einer Expedition ins Ungewisse. Finnland übernimmt das Ruder zu einer Zeit, wo die geopolitische Übersicht trüb ist und ungeahnte Großwetterlagen das Schiff in arktischen Gewässern schnell ins Trudeln bringen können. Schiffbruch nicht ausgeschlossen.

Welche Schwerpunkte Finnland während des Vorsitzes setzen wird, will die Regierung erst nach der offiziellen Übergabe am 11. Mai in Fairbanks Alaska verkünden, sagt Martti Ruokolainen vom finnischen Außenministerium, zuständig für arktische Belange. „Wir nehmen unsere Rolle sehr ernst. Es gilt, unter Finnlands Führung konsensorientierte Entscheidungen herbeizuführen. Auch wollen wir unser Expertenwissen und unsere arktischen Kompetenzen einbringen und fördern.“

Neben mehreren biologischen Forschungsstationen gibt es das Arktische Zentrum als separates Institut der Universität Lappland und das Zentrum für arktische medizinische Wissenschaften an der Uni Oulu. Die finnische Industrie verfügt zudem über arktische Technologien, Schnee-Knowhow und breitgefächertes Fachwissen.

Das erste offizielle Treffen des Arktischen Rates wird vom 12. bis 14. Juni in Espoo stattfinden.
Schneewirbel
„Wir wollen die Rolle der arktischen Region auf ein Niveau heben, das ihr zusteht,“ erklärt der finnische Wirtschaftsminister Mika Lintilä. „Mit der Nordostpassage und neuen digitalen Informationswegen entstehen neue geopolitische Konstellationen, denen wir Rechnung tragen müssen. Die Natur ist dabei oberstes Kriterium.“ Bei der angedachten Bahnlinie von Rovaniemi nach Kirkenes sei darauf zu achten, dass möglichst wenig Naturrechte und keine territorialen Rechte der Sami verletzt werden.

Der arktische Korridor
Als Erster durchquerte der Schwede Adolf Erik Nordenskiöld 1878/79 mit dem Segelschiff „Vega“ die Nordostpassage komplett. Heutzutage ist die Strecke vom Nordmeer über die Beringstraße bis nach China oder Japan in den Monaten Juli bis November befahrbar. Zahlen des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven von September 2014 belegen, dass die Eisdecke der Arktis auf rund fünf Millionen Quadratkilometer abgeschmolzen ist. Damit hat sich die Fläche in den vergangenen 30 Jahren halbiert. Und eine Trendwende ist nicht in Sicht.
Luftaufnahme Eis auf der Ostsee
Eine ganzjährig befahrbare Nordostpassage rückt damit in greifbare Nähe. Der Weg für Frachtschiffe auf der kürzesten Route nach Ostasien wäre also frei. 40 Prozent schneller als der derzeitige Hauptseeweg nach Asien durch den Suezkanal, vorbei an Indien bis nach China oder Japan.

An einer arktischen Bahnlinie zwischen Rovaniemi, der Hauptstadt finnisch Lapplands, und Kirkenes als Tor zur Barentsregion wird schon fleißig gefeilt. 3,2 Milliarden Euro soll sie kosten und für einen reibungslosen Anschluss sorgen.

Timo Rautajoki, Wirtschaftskammer Lappland
Timo Rautajoki, Präsident der Wirtschaftskammer Lapplands

Der Präsident der Wirtschaftskammer Lapplands Timo Rautajoki sieht mächtige Chancen für die gesamte Region. Goldgräberstimmung. 200 Milliarden Euro Investitionspotential wittert er in Lappland, vor allem durch Windparks, Biotechnologie und Bodenschätze. „Doch Lappland wird in Finnland nicht gehört,“ beklagt Rautojoki. „Die in Helsinki wissen nicht mal, was wir hier machen.“ Auch die EU würde in arktischen Belangen „rein gar nichts“ unternehmen. Dabei sei finnisch Lappland so groß wie Portugal oder wie Ungarn. Oder 3,5 mal so groß wie Belgien.

Für Wissenschaftler Timo Koivurova ist die Frage dagegen eher, ab wann es wirtschaftlich attraktiv für Handelsunternehmen wird, die Nordroute zu nutzen. Einige Berechnungen gehen davon aus, dass die Arktis das erste Mal 2030 oder 2040 im Sommer ohne Eis sein wird.

Die Bahn ist unser Niedergang
Die Samen sehen ihre traditionelle Lebensweise durch diese Entwicklungen gefährdet. 10.000 leben in Finnland, in der gesamten arktischen Region 200.000. Sie sind als ständige Teilnehmer im Arktischen Rat vertreten und genießen in Finnland seit den 1990er Jahren den offiziellen Status als indigene Minderheit.

Tiina Sanila-Aikio, Präsidentin des samisches Parlament
Tiina Sanila-Aikio, Präsidentin des samischen Parlaments mit Sitz in Inari

Dennoch beklagt Tiina Sanila-Aikio, die Präsidentin des samischen Parlaments mit Sitz in Inari, die vielen Ungerechtigkeiten und die Machtlosigkeit des samischen Parlaments. Das finnische Parlament hat 130 Vollzeitmitarbeiter. „Wir haben nur 18 Vollzeitstellen. Und 30 weitere Mitarbeiter für zeitlich begrenzte Projekte.“

Die neuen Handelsrouten bedrohen die Lebensgrundlagen der Sami. „Die Bahnstrecke ist unser Knockout, unser Niedergang. Sie werden unsere Wälder und die Bodenschätze plündern. Die Nordostpassage nützt nur anderen, nicht den Sami. Die Bahn teilt unser Land in zwei Teile. Wir haben unsere Empfehlung dazu abgegeben. Aber es ist wie das Rufen gegen den Wind. Es interessiert niemanden.“

„Wir wissen nicht, wie die Rentiere auf eine Bahnlinie reagieren werden. Wir haben keinerlei Erfahrungswerte. Im schlimmsten Fall gibt es einen Massenmord,“ befürchtet Osmo Seurujärvi aus Inari. Er ist wie seine Vorfahren Rentierzüchter und weiß, dass die Rentiere seit Jahrhunderten auf denselben Routen wandern.

Osmo Seurujärvi, Rentierzüchter aus Inari
Osmo Seurujärvi, Rentierzüchter aus Inari

Vom Arktischen Rat erhofft er sich mehr Anstrengungen gegen den Klimawandel. „Er ist unsere größte Bedrohung. Die Winter sind anders als früher. Es friert und taut durcheinander. Bildet sich dadurch Eis unter dem Schnee, kommen die Rentiere nicht mehr an ihr Futter.“
Rentierherde
Wie im Winter 2013/14, als auf der in Westsibirien gelegene Halbinsel Jamal 60.000 Rentiere verhungerten, weil plötzlicher Regen im November den Schnee gefrieren ließ. 10.000 Nenzen – Nomaden, die von Rentierzucht und Fischfang leben – teilen sich die traditionellen Weidegebiete mit dem russischen Energieversorger Gazprom, der mit gigantischen Förderanlagen auf Jamal die reichen Vorkommen an Öl und Gas hebt.
Arktikum, Arktisches Zentrum in Rovaniemi
Das Arktikum in Rovaniemi beherbergt auch das Arktische Zentrum

Bruce C. Forbes, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel am Arktischen Zentrum in Rovaniemi, beobachtet die Entwicklung am Nordpolarmeer seit Jahren. Extreme Wetterlagen mit heftigem Regen und schwerem Schnee häufen sich. „Ist das die neue Normalität?“ fragt sich Bruce C. Forbes. „Die Eisfläche war 27.000 qkm groß. Die Rentiere konnten nicht mehr als die darunter liegenden Moose und Flechten gelangen. Sie starben an Hunger.“

Unsicherheit bleibt
Klimawandel, neue Handelsrouten, Begehrlichkeiten auf Bodenschätze – drängende Herausforderungen, denen sich der Arktische Rat stellen muss. Doch was nun wirklich auf Finnland zukommt, bleibt ungewiss. Die arktischen Interessen der Großmächte USA und Russland sind für die kleinen nordischen Länder unberechenbar. „Durch den Regierungswechsel in den USA wissen wir nicht, was sich ändern wird. Vielleicht ist es gut, dass Trump sich gut mit Russland versteht,“ mutmasst Timo Koivurova vom Arktischen Zentrum.

Finnlands Wirtschaftsminister Mika Lintilä gibt sich trotz aller Unwägbarkeiten gelassen. Bis sich neue internationale Handelswege per Bahn und Schiff abzeichnen, fließe noch viel Wasser: „Trump wird bis dahin schon mehrfach die Bühne verlassen haben.“

Text und Fotos: Tarja Prüss

Der Arktische Rat (Kurz-Info)

– wichtigstes internationale Forum für den hohen Norden mit Sitz in Tromsö (Norwegen)
– 1996 als politischer Zusammenschluss zum Schutz der Arktis gegründet
– 8 Mitglieder: Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Island, Kanada, Russland, USA
– 6 ständige Vertreter der indigenen Völker (darunter die Sami)
– 12 Ständige Beobachterländer (darunter Deutschland und China)
– 6 Arbeitsgruppen: u.a. Meeresschutz und nachhaltige Entwicklung
– 2011 Abkommen zu Such- und Rettungseinsätzen im Eis
– 2013 gemeinsame Vereinbarung für Frieden und Stabilität in der Arktis
– 2013 Abkommen zur gemeinsamen Bekämpfung/Vermeidung von Ölverschmutzungen in der Arktis

Homepage des Arktischen Rates: www.arctic-council.org

Über den Arktischen Rat (Lang-Info)

Der Arktische Rat ist das wichtigste internationale Forum für den hohen Norden, wo der Klimawandel so deutlich seine Spuren hinterlässt wie wohl in keiner anderen Region der Welt. Seine Beschlüsse sind lediglich Empfehlungen, rechtlich bindend sind sie nicht.

Der Rat hat acht feste Mitglieder: Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Island, Kanada, Russland und die USA. Zudem vertreten sechs Dachorganisationen als „ständige Teilnehmer“ die Interessen der indigenen Völker, darunter auch die Sami. 12 Länder wie Deutschland und China sind ständige Beobachterstaaten.

Der Rat mit heutigem Sitz in Tromsö (Norwegen) wurde 1996 als politischer Zusammenschluss gegründet, um die Arktis zu schützen und Regeln für eine nachhaltige Zukunft festzulegen. 2013 verpflichteten sich die Mitgliedsländer in einer Vereinbarung, sich gemeinsam für Frieden und Stabilität in der Arktis einzusetzen. Weitere wichtige Errungenschaften sind ein Abkommen zu Such- und Rettungseinsätzen im Eis (2011) sowie ein Abkommen zur gemeinsamen Bekämpfung bzw. Vermeidung von Ölverschmutzungen in der Arktis (2013).

Wichtige tragende Säule des Arktischen Rates sind sechs permanente Arbeitsgruppen. Sie erarbeiten wissenschaftliche Empfehlungen in den Bereichen, Natur-, Meeres- und Katastrophenschutz, nachhaltige Entwicklung und Bekämpfung von Umweltgiften.

Das internationale Interesse am Arktischen Rat ist groß. Auch andere, etwa die Europäische Union und Greenpeace, wollen Beobachter werden.

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